Eskalation in Ägypten: Alle Augen auf das mächtige Militär gerichtet
Bis Mittwoch lässt die Armee Präsident Mursi Zeit, um doch noch eine politische Einigung zu erzielen. Was das Militär konkret vor hat, sollten die Fronten weiter verhärtet bleiben, sickerte bereits durch. Eine Verfassungsänderung soll durchgeführt werden.
Kairo - Seit Tagen stehen sich Anhänger und Gegner des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi unversöhnlich gegenüber. Die Opposition fordert seinen Rücktritt, was der Staatschef strikt ablehnt. Nach dem Tod von 16 Menschen bei Protesten vom Sonntag schaltete sich die Armee ultimativ in den Konflikt ein und forderte eine politische Einigung binnen 48 Stunden. Die Streitkräfte sind in Ägypten traditionell mächtig.
Armee-Pläne sehen Verfassungsänderung vor
Falls bis Mittwoch keine Einigung zwischen Präsident Mohammed Mursi und der Opposition zustande kommt, will die ägyptische Armee die Verfassung ändern und das von Islamisten dominierte Parlament auflösen. Das erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag aus Militärkreisen. Bis es eine neue Verfassung gebe, solle ein überwiegend aus Zivilisten bestehender Übergangsrat eingesetzt werden, dem Vertreter der politischen Gruppen und Experten angehören sollten.
Die Verfassung solle innerhalb einiger Monate geändert werden. Anschließend solle ein neues Präsident gewählt werden. Die Neuwahl des Parlamentes solle erst stattfinden, wenn es strikte Regeln für die Auswahl der Kandidaten gebe.
Die Streitkräfte diskutierten noch über Einzelheiten, hieß es in den Militärkreisen weiter. Der Plan, der die politische Krise lösen solle, könne zudem an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden.
General Al-Sissi als Schlüsselfigur
Eine Schlüsselfigur in dem Konflikt ist nun General Abdel Fattah al-Sissi, zugleich Armeechef und Mursis Verteidigungsminister. Anders als mehrere andere Kabinettsmitglieder trat er bisher nicht zurück. Dass er noch fest zu Mursi steht, ist nach Ansicht von Experten jedoch unwahrscheinlich.
In der vergangenen Woche versicherte al-Sissi, das Militär werde Ägypten nicht ins Chaos treiben lassen. Es sei „nationale und moralische Pflicht der Armee, konfessionelle Gewaltausbrüche und einen Zusammenbruch der staatlichen Institutionen zu verhindern“. Am Montag gab die Armee Mursi dann eine „letzte Chance“, den „historischen Umständen“ gerecht zu werden.
Der Linksnationalist Hamdeen Sabbahi, eine Gallionsfigur der ägyptischen Opposition, fordert die Streitkräfte angesichts der Ankündigungen „zum Handeln“ auf, sollte sich Mursi an die Macht klammern. Al-Sissi habe „selbst gesagt, dass er den Volkswillen respektiert“. „Und das Volk erwartet nun, dass er Wort hält“, sagt Sabbahi.
Auch das hinter den Massenprotesten stehende Oppositionsbündnis Tamarod (Rebellion) fordert Armee, Polizei und Justiz auf, „sich klar auf die Seite des Volkswillens zu stellen“. Mursis Büro gibt zwar an, dass es keinerlei Zerwürfnis zwischen dem Staatschef und seinem Verteidigungsminister gebe. Al-Sissi bestätigt diese Darstellung allerdings nicht.
Militär „nicht unmittelbar“ an Machtübernahme interessiert
„Die Armee kann nicht direkt eingreifen, ohne dass es heftige Zusammenstöße gibt, was eine ernste Bedrohung für die Stabilität des Landes wäre“, sagt Hassan Nafaa, Politologe an der Universität von Kairo. Wahrscheinlich sei daher, dass die Streitkräfte für einen „nationalen Dialog“ sorgen wollten, um einen Weg aus der Krise zu finden.
Eine Intervention des Militärs sei auf lange Sicht jedoch keine Lösung, warnt Nafaas Kollege Mustafa al-Sayjed. Die Armee wolle zwar, „dass das Land aus seiner Lage herausfindet und dass ein Bürgerkrieg verhindert wird“. Sie sei aber nicht daran interessiert, „noch einmal unmittelbar die Macht zu übernehmen“.
Eine Zeit der faktischen Militärherrschaft hat Ägypten gerade erst hinter sich. Nach dem Sturz des früheren Machthabers Hosni Mubarak im Februar 2011 übernahm ein Militärrat unter dem damaligen Armeechef Hussein Tantawi die Macht. Wenige Wochen nach Mursis Amtsantritt wurde der Mubarak-Vertraute am 12. August 2012 dann entlassen. Unter der Herrschaft des Militärrats stand die Opposition diesem ebenso kritisch gegenüber wie nun Mursi. Sie warf Tantawi vor, die autoritären Herrschaftsstrukturen beizubehalten und für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein. Für die Absetzung Tantawis wurde Mursi fast durchweg gelobt.
Nach Ansicht von Tarek al-Hariri, Kolumnist der Tageszeitung „Al-Tahrir“, muss die Armee angesichts des Stillstands in Ägypten nun „dafür sorgen, dass die politischen Institutionen ihre Arbeit wieder aufnehmen und auf die Forderungen des Volks reagieren“. Auf die Frage, welchen Weg sie dabei einschlagen könnte, wagt er aber ebenfalls keine Antwort. (AFP/Reuters/APA)