Justizministerin Karls schlampiger Umgang mit Schutzbefohlenen
Für Ministerin Beatrix Karl wird es immer ungemütlicher an der Spitze der Justiz. Und das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Ihr Umgang mit dem Fall eines 14-Jährigen, der in Staatsobhut von Mithäftlingen missbraucht wurde, ist äußerst fragwürdig. Immer mehr Fakten zeigen, dass Karl die Misstände im Jugendstrafvollzug lange bewusst sein mussten.
Wien – Ein 14-Jähriger wird brutal missbraucht. An sich schon ein dramatischer Tatbestand. Dass dies unter Aufsicht des Staates, nämlich in Untersuchungshaft geschehen ist, verschlimmert die Situation zusätzlich. Und dass der Heranwachsende offenbar wegen verzögerter Reife gar nicht in Haft hätte sitzen dürfen, ist dann nur noch tragisch.
Doch nichts an der Geschichte ist überraschend. Nichts an ihr war und ist undenkbar. Zumindest nicht für jene, die den Umgang mit jugendlichen Häftlingen in Österreich verantworten müssen, die Regeln festlegen und damit auch die Rahmenbedingungen für jeden einzelnen der betroffenen jungen Männern und Frauen.
Misstände seit 2009 bekannt
Wie die Wiener Wochenzeitung „Falter“ eindrucksvoll in einem Bericht zusammengetragen hat, müssten im Justizministerium spätestens seit 2009 Misstände im Jugenddepartement der Wiener Justizanstalt Josefstadt bekannt gewesen sein – und hätten die Alarmglocken schrillen müssen. Unter Berufung auf interne Akten aus dem Justizministerium berichtet der „Falter“, dass Beamte Spitzen des Ministeriums zu diesem Zeitpunkt über Missstände informiert haben. Damals war noch Karls Vorgängerin Claudia Bandion-Ortner im Amt.
Die eigenen Beamten berichteten demnach in „vertraulichen Aktenvermerken“ von Gewalt und sexuellen Übergriffen. Die Leiterin der Wiener Jugendgerichtshilfe, Christa Wagner-Hütter, habe in der Akte „Jugendvollzug Josefstadt“ die Ergebnisse einer der vielen internen Besprechungen zusammengefasst. Ihr Schreiben ging an Spitzenbeamte der Vollzugsdirektion.
Darin wurden laut Bericht die schließlich aufgetretenen Missstände de facto intern prophezeit. Der Nachtdienst beginne unter der Woche um 15.00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen bereits um 13.00 Uhr, ebenso an manchen Freitagen. Bis zu 18 Stunden seien die Zellen geschlossen. Die Jugendlichen kämen auf „blöde Ideen“, die „des Öfteren in sadistischen Handlungen gipfeln“, so die Leiterin der Jugendgerichtshilfe.
Jugendliche Häftlinge würden, „sehr authentisch über ihre durch Mitinsassen erlittenen, psychischen, physischen und sexuellen Misshandlungen, die sich vorwiegend im Nachtdienst (ab 15 Uhr) und zum Wochenende ereignet haben“ erzählen, berichtete Wagner-Hütter offenbar. „Jugendliche, die zu dritt oder zu viert in Hafträumen untergebracht sind, seien besonders gefährdet.“
Missbraucht mit einem Besenstil
Am 6. Mai dieses Jahres wurde der 14-jährige Sonderschüler, „Sohn einer überforderten alleinerziehenden Mutter, unbescholten“, wie der „Falter“ schreibt von drei Mithäftlingen brutal missbraucht. Mit einem Besenstil.
„Im Unterschied zu früher kommt es im Jugendgefängnis häufiger zu sexuellen Übergriffen. Jeder in unserer Abteilung bekommt einmal im Jahr so einen Fall“, hielt Norbert Gerstberger, Jugendrichter am Wiener Straflandesgericht und Obmann der Fachgruppe Jugendrichter in der Richtervereinigung, kurz nach dem Bekanntwerden des Falles zur grundsätzlichen Problematik fest.
Karl selbst reagierte am 26. Juni auf die Vorwürfe indem sie erklärte: „Strafvollzug ist nicht das Paradies. Aber gerade im Jugendstrafvollzug haben wir die besten Gefängnisse, die wir je hatten.“
Dann vergriff sie sich in der für eine Justizministerin unzulässigen Feststellung: „Bei Jugendlichen, die in U-Haft kommen, sprechen wir von schweren Straftätern.“ Dass Untersuchungshäftlinge nicht verurteilt sind und damit vor dem Gesetz - das die Justiz eigentlich pflegen sollte - nicht vorverurteilt werden dürfen, entfiel der obersten Repräsentantin der ehrenwerten Zunft. Im ORF-Fernsehen wiederholte Karl diese Feststellung - was ausschließt, dass diese Rechtsauffassung ihr zufällig in einem Interview entglitten ist. Eher wirkt es so als ob ihr Bild von Beschuldigten dem eines Verurteilten entspricht.
„Kann nicht mit Geld um mich werfen“
Karls Behauptung, in der Josefstadt habe sich vieles zum Positiven verändert, wird von der Volksanwaltschaft und vom Berufsverband der SozialarbeiterInnen (OBDS) bestritten. Auch der Umgang mit dem Opfer wurde vom OBDS kritisiert: „Sich in aller Öffentlichkeit zu weigern, sich bei dem jugendlichen Opfer zu entschuldigen und nicht einmal Therapie anzubieten, das ist besonders bemerkenswert.“
In ihren Worten hört sich das bei Armin Wolf im TV so an: „Also ich kann als Justizministerin nicht da sitzen und mit dem Geld um mich werfen.“ Laut der Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig hat der 14-Jährige allerdings Anspruch auf eine Entschädigung. Einfacher Grund: „Er war in der Obsorge der Justiz.“
Der Druck auf Karl ist groß. Ihren anfänglichen Standpunkt, sie wisse genau bescheid über den Strafvollzug relativierte die Ministerin zuletzt. Gegenüber dem „Falter“ habe sie in einem Hintergrundgespräch erklärt, dass sie von den schriftlich dokumentierten Vorwürfen der eigenen Beamtenschaft noch nichts gehört habe. Hätte sie auch nicht wissen müssen, denn auch aktuell hätte es genügend Anlassfälle gegeben, den Jugendstrafvollzug genauer zu untersuchen.
„Das war kein Ausreißer-Fall“, erklärte dazu am Dienstag der in der Fachgruppe Jugendrichter der Richtervereinigung engagierte Wiener Jugendrichter Andreas Hautz. Er selbst habe „im letzten halben oder dreiviertel Jahr“ in seiner beruflichen Funktion in der Abteilung für Jugendliche bzw. junge Erwachsene (Häftlinge im Alter zwischen 18 und 21, Anm.) der Justizanstalt Josefstadt zwei ähnlich gelagerte Fälle wahrgenommen.
Aktuelle Fälle, lange vorhandene Expertisen der eigenen Beamtenschaft und trotzdem ein fragwürdiger Umgang mit einem 14-jährigen Missbrauchsopfer, pauschale öffentliche Vorverurteilung aller U-Häftlinge und eine wenig schlüssige Argumentation. Justizministerin Beatrix Karl steht selbstverschuldet im Kreuzfeuer der Kritik. (tt.com, APA)