An der „süßesten“ Ecke Europas fensterln gehen
Südschweden hat den „Süß“-Faktor: Die Häuschen sehen aus wie frisch aus dem Wohndesign-Katalog, ihre Fensterbänke und Gärten sind detailverliebt herausgeputzt. Und zum Kaffee gibt es klebrige Sünden wie die zimtigen Kanelbullar, die den Urlaubsgenuss perfekt machen.
Von Kathrin Siller
Malmö –Mollige Schafe stemmen sich gegen den Wind, der an unseren Jacken und Haaren zerrt. Vorbei an Klatschmohngrüppchen, blühendem Holunder und violetten Lupinen kämpfen wir uns auf den Hügel, auf dem ein sensationelles Monument der Ostseebrise trotzt: Ales Stenar, das Stonehenge Schwedens. Die 59 Steinbrocken sind in Form eines Schiffes angeordnet und wurden zwischen 500 bis 1000 nach Christus errichtet. Wahrscheinlich wurde die Anlage für Begräbnisse genutzt, aber viele Fragen sind noch offen wie das Meer, das unter uns sanfte Wellen Richtung Küste schickt.
Im kleinen Fischerhafen Kåseberga, der sich an den geschichtsträchtigen Hügel kuschelt, retten wir uns vor Wind und Regen in ein Porzellangeschäft. Pastellfarbene, hauchdünne Tassen stapeln sich auf Tischen, die mit frischen Blumen und Kerzen dekoriert sind. Bitte, jetzt muss ein Souvenir her!
Die Accessoires erinnern uns nämlich an die unzähligen Fenster, die wir im Laufe dieser Reise von Göteborg über den Vänernsee und Karlskrona bis jetzt nach Kåseberga, begleitet von „Ach, wie süß“-Seufzern, fotografiert haben. Jedes von ihnen ein kleines Schaufenster, herausgeputzt – als könnte jeden Moment ein Wohnmagazin für ein Interview hereinschneien.
In dem Fischerdörfchen Brantevik, das wir kurz davor besichtigt hatten, grüßten etwa Miniaturschiffe, Strohpuppen und Ton-Eulen von den Fensterbrettern nach draußen. Üppige Rosen bewachten die gedrungenen Eingänge, in den Gärten wuchsen Katzenminze und Lavendel. Einfach süß – fanden selbst die Männer in der Runde!
„Die Schweden gehen gar nicht so oft in Restaurants, sondern laden Gäste lieber zu sich ein“, verrät uns Fremdenführerin Karin das Geheimnis der perfekt gestalteten Eigenheime. Schweden ziehen abends auch nicht unbedingt die Vorhänge zu. Somit kann jeder sehen, wie fein es die Bewohner haben.
Zum Thema „schwedische Gemütlichkeit“ passt auch die ausgedehnte Kaffeepause, die so genannte „fika“: Nicht umsonst teilen sich die Schweden mit den Finnen den Rekord-pro-Kopf-Verbrauch an Kaffee. Wir erfahren zum Beispiel, dass man gerade in ländlichen Gegenden nur für eine Tasse Kaffee bezahlen muss und dann nachgeschenkt bekommt. Dazu gibt es zimtige Kanelbullar aus Hefeteig in rauen Mengen.
Wir verlassen Kåseberga und fahren Richtung Falsterbo, das am südwestlichen Zipfel der Provinz Schonen auf einer Halbinsel liegt. Ein mondänes Örtchen, früher den Schönen und Reichen vorbehalten, heute weit weniger elitär. Von den 77 Golfplätzen in Schonen sollte man sich nicht täuschen lassen, das Golfen ist hier Volkssport. Und auch sonst ist die Provinz, die bis ins 17. Jahrhundert zu Dänemark gehörte, etwas Besonderes: „Schonen hat den besten Boden der Welt, die Bauern waren schon immer reich, aber dafür sind wir auch alle ein bisschen dick“, lacht Karin. Die Bauern leben heute noch von Zuckerrüben, dem „weißen Gold“, Kartoffeln und Getreide. „Schonen ist die Kornkammer Schwedens und viele weltberühmte Köche kommen aus der Gegend“, sagt Karin.
Eine Kostprobe ihres kulinarischen Könnens bekommen wir abends in einer Gästgivaregård, einem Gasthaus. Der Tisch ist wieder einmal liebevoll gedeckt: Schleierkraut in Vasen, große Kerzen, Butterstückchen auf Schiefertellern, Körbchen mit selbst gemachtem Brot. Als Vorspeise wird Meeresfrüchtesalat in Einweckgläsern serviert, als Hauptspeise gibt es ein göttliches Steak mit Kohlrabi und Kartoffeln, zum Schluss frische Erdbeeren mit einem Baiser-Krönchen. Pumpvoll marschieren wir zu unserem Hotel und schauen neugierig in die offenherzigen Fenster.
Als die Sonne am Morgen durch unsere eigenen Fenster hereinguckt, gilt der erste Gedanke dem in Zwiebel und Curry-Senfsoße eingelegten Hering, den die Schweden so gerne zum Frühstück essen. Eine tägliche Sünde wert!
Am letzten Tag der Reise tauchen wir noch einmal die Füße ins Meer: am Strand von Skanör. Das an Falsterbo grenzende Nest war im Mittelalter der größte Heringsmarkt Nordeuropas, heute erinnern eine Räucherei, Fischbuden und maritime Hausdeko an diese bewegten Zeiten. Die bunten Badehütten des Ostseestrandes sind heute verlassen. Ein Bursch von der Wasserrettung hüpft mit einem Thermometer ins Wasser: 16 Grad. Okay, das erklärt, warum wir den Strand für uns alleine haben.
Nur einen Katzensprung ist es von Skanör nach Malmö, dem letzten Stopp auf der Reiseroute. Die ehemalige Industriemetropole hat sich zu einer pulsierenden, ökologisch orientierten Traumstadt gemausert. Menschen aus 177 Nationen leben in der drittgrößten Stadt Schwedens, 40 Prozent der Bevölkerung sind unter 35 Jahre alt. Viele dieser Jungen leben in dem neuen grünen Wohnviertel Westhafen, das früher ein Werftareal war. Dort führen modische Familien ihre Kinder in trendigen Kinderwägen spazieren und es herrscht eine Stimmung, in die man sich verlieben kann. Über die freundlichen Wohnblöcke schaut das markante Hochhaus Turning Torso („Drehender Rumpf“) heraus, das schon von Felix Baumgartner als Absprungbasis genutzt wurde. Den Fensterputzservice gibt es für die Bewohner des 190-Meter-Glaskomplexes übrigens inklusive.
Wir verlassen das Land mit der Wohlfühl-Architektur schließlich über ein architektonisches Meisterwerk, die fast acht Kilometer lange Örsesundbrücke, die Schweden mit Dänemark verbindet. Ein letzter Blick zurück führt in ein noch viel zu unbekanntes Fleckchen Europa, das uns überrascht und vor allem zu einem Umstyling der eigenen vier Wände inspiriert hat.