Jagd auf Snowden: Verwirrung um Morales‘ Zwangsstopp in Wien
Noch immer herrscht keine Klarheit darüber, wie die Weisungskette im Fall der Zwangslandung von Boliviens Präsident Evo Morales in Wien ablief. Laut „Presse“ soll der US-Botschafter in Wien, William Eacho, interveniert haben, weil Snowden an Bord vermutet wurde. Heute findet ein Südamerika-Gipfeltreffen zu dem Thema statt.
Wien, Washington, La Paz - Die Jagd auf den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat zu einem diplomatischen Eklat geführt: Boliviens Präsident Evo Morales sah sich am Mittwoch gezwungen, bei seinem Heimflug von Moskau einen Zwischenstopp in Wien einzulegen. Die genauen Umstände blieben zunächst unklar.
Ursprünglich hieß es, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal sollen der Maschine die Überfluggenehmigung verweigert haben. Später gab es dazu auch Dementi. Die Luftraumüberwachungsbehörde Austro Control, die mit ihren Pendants in anderen Ländern ständig in Austausch steht, bestätigte jedoch, dass es Sperren gegeben habe. Hintergrund waren offenbar Gerüchte, wonach sich Snowden in dem Flugzeug befindet.
Bolivien sprach jedenfalls von einem aggressiven Akt und einer Verletzung des Völkerrechts. Im österreichischen Außenministerium wollte man sich an Spekulationen zum Thema nicht beteiligen.
Boliviens UN-Botschater verurteilte „Kidnapping“
Morales konnte schließlich mit einem weiteren Zwischenstopp auf den Kanarischen Inseln nach Hause weiterfliegen. Vizekanzler Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) hatte Morales kurz vor dessen Weiterflug auf dem Wiener Flughafen besucht und danach erklärt, es habe eine „Freiwillige Nachschau“ durch Vertreter Österreichs in der bolivianischen Präsidentenmaschine gegeben. Bolivien widersprach dem später. Verteidigungsminister Ruben Saavedra sagte in La Paz, Morales habe seine Erlaubnis nicht gegeben und daher habe auch niemand die Maschine betreten. Gleichwohl protestierte Bolivien scharf gegen die Versagung der Überfluggenehmigung für die Maschine. Die Regierung warf den USA vor, den Zwangsstopp veranlasst zu haben.
So wurde der Botschafter Boliviens in Genf, Sacha Llorenti Soliz, von der Nachrichtenagentur Reuters mit den Worten zitiert, Österreich habe Morales auf Befehl der USA „gekidnappt“ und mit dieser Aktion einen „Akt der Aggression“ begangen und das Völkerrecht verletzt. Anderen Quellen zufolge hatte Llorenti Soliz seine Aussagen allgemein gehalten und nicht direkt auf Österreich gemünzt. „Aus keinem Grund sollte ein Diplomatenflugzeug mit dem Präsidenten an Bord umgeleitet werden und zur Landung in einem anderen Land gezwungen werden.“
USA verlangten sofortige Auslieferung Snowdens von Wien
Wie die Tageszeitung „Die Presse“ in ihrer Donnerstagsausgabe berichtet, hat es noch am Dienstagabend eine Intervention von US-Botschafter William Eacho gegeben. Laut „Presse“ behauptete der Diplomat mit großer Bestimmtheit, dass Edward Snowden an Bord sei. Eacho habe auf eine diplomatische Note verwiesen, in der die USA die sofortige Auslieferung Snowdens verlangten. Im Außenamt wurde am Mittwochabend auf Anfrage der APA bestätigt, dass es einen Anruf Eachos gegeben habe. Druck sei dabei aber keiner ausgeübt worden.
Snowden befand sich seit 23. Juni auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo. Morales hatte an einer Energiekonferenz in der russischen Hauptstadt teilgenommen und dort öffentlich mit dem Gedanken gespielt, dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Asyl zu gewähren. Sein Flugzeug war aber offenbar von einem anderen Moskauer Airport gestartet. Snowden hat in mehreren Ländern um Asyl gebeten. Die meisten reagierten ablehnend oder zumindest reserviert.
Experten halten russische Finte für möglich
Politische Beobachter halten es auch für möglich, dass der russische Geheimdienst die USA blamieren wollte und sie glauben ließ, dass Snowden an Bord der Maschine sei. „Die Amerikaner müssen wirklich überzeugt gewesen sein, dass Snowden an Bord ist“, hieß es bei einer Diskussion in der Sendung „Journal Panorama“ des ORF-Radiosenders „Ö1“, an der unter anderen der Leiter der Diplomatischen Akademie Hans Winkler und der Völkerrechts- und Menschenrechtsexperte Manfred Nowak teilnahmen.
Auch der frühere Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gert-Rene Polli, vermutet, dass die Aktion eine Finte der Russen war. Dass Snowden nicht an Bord war spreche für eine „russische operative Maßnahme der dortigen Nachrichtendienste, vor allem, um die Amerikaner vorzuführen und zu täuschen“, meinte Polli. „Das ist eine der größten Blamagen amerikanischer Außenpolitik und Dienstearbeit, die ich je gesehen hab.“
Südamerikanische Staatschefs treffen sich heute
Das südamerikanische Staatenbündnis UNASUR will noch heute zu einem Sondergipfel wegen des Eklats zusammenkommen. Bei der Verweigerung von Überflugrechten für die Maschine Morales‘ handle es sich um „Kidnapping“, hieß es seitens des Bündnisses.
Ihre Teilnahme an dem Treffen im bolivianischen Cochabamba hätten bereits sechs der zwölf UNASUR-Präsidenten zugesagt, hieß es in einer Mitteilung. Bolivien hatte bereits am Mittwoch von einem aggressiven Akt und einer Verletzung des Völkerrechts gesprochen. Dem UNASUR-Bündnis gehören Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Suriname, Uruguay und Venezuela an.
SPD-Chef Gabriel fordert Ermittlungen gegen NSA-Chef
Der deutsche SPD-Chef Sigmar Gabriel hat indes die Bundesanwaltschaft aufgefordert, in der Spähaffäre Ermittlungen gegen die Chefs der verantwortlichen Geheimdienste in den USA und Großbritannien aufzunehmen. Zudem solle erwogen werden, dem Enthüller der Spähprogramme, Edward Snowden, die Aufnahme in ein deutsches Zeugenschutzprogramm anzubieten, sagte Gabriel „Spiegel Online“.
Es handle sich bei der Ausspähaffäre um einen Angriff auf in der Verfassung geschützte Grundrechte, betonte er. „Ich fände es angemessen, wenn die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen die Verantwortlichen der amerikanischen und britischen Geheimdienste anstrengt.“
Er appellierte an die Justiz, rasch Kontakt zu Snowden aufzunehmen. Die Bundesanwaltschaft müsse zu ihm nach Moskau reisen und Snowden als Zeugen vernehmen. „Und wenn sie den Eindruck hat, dass er ein verlässlicher Zeuge ist, muss man überlegen, ob er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden sollte.“ (tt.com, APA/Reuters/AFP/dpa)