Debatte im EU-Parlament

Freihandel: Auch EU-Kommission stellt Gespräche mit USA infrage

Das Programm „XKeyscore“ erlaubt der NSA praktisch unbegrenzten Zugriff auf Internetdaten der Menschen weltweit.
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Bei einer Debatte im EU-Parlament sagte Justizkommissarin Viviane Reding, dass „Vertrauen und Klarheit“ Grundvoraussetzungen für Freihandelsgespräche mit den USA seien. Das schließe Spionage bei EU-Institutionen aus.

Brüssel/Washington - In der US-Spionageaffäre stellt nun auch die EU-Kommission die Freihandelsgespräche mit den USA in Frage. „Damit man bei Verhandlungen erfolgreich sein kann, braucht man Vertrauen und Klarheit. Das schließt Spionage bei EU-Institutionen aus“, sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg. In der Debatte sprachen sich Abgeordnete von Sozialdemokraten und Grünen für den Stopp der Handelsgespräche aus.

Die liberale Abgeordnete Sophia In‘t Veld schlug vor, US-Präsident Barack Obama zu einer Aussprache ins Europaparlament zu laden. „Er sollte einer halben Milliarde europäischer Bürger Rede und Antwort stehen.“

„Sehr verstörend“

„Die Neuigkeiten der letzten Tage und Wochen sind wirklich sehr verstörend gewesen“, sagte die Justizkommissarin. Sie berichtete, dass sie auch drei Wochen nach ihrer ersten Anfrage zum PRISM-Abhörprogramm noch keine umfassenden Antworten vom US-Justizkommissar Eric Holder bekommen habe. Immerhin habe Holder in einem am gestrigen Dienstag übermittelten Schreiben zugesichert, eine transatlantische Expertenkommission einzurichten, die die „Fakten klären“ soll.

„Die Privatsphäre ist ein Grundrecht und deshalb ist es auch nicht verhandelbar“, betonte die luxemburgische Politikerin. Auch in Fragen der nationalen Sicherheit müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. „Die Tatsache, dass diese Programme sich auf die nationale Sicherheit beziehen, bedeutet nicht, dass man alles machen darf, was man will“, betonte sie.

Spionageaffäre als „Weckruf“ für EU

Die Spionageaffäre solle der EU als „Weckruf“ dienen, die Datenschutzbestimmungen zu verschärfen. „In dieser Frage blickt die ganze Welt auf uns. Viele erwarten von Europa, dass wir einen hohen Standard beim Datenschutz vorgeben“, sagte sie.

In der Debatte wurde lagerübergreifend Kritik am US-Programm geübt. „Freunde lauscht man nicht aus“, sagte der konservative Abgeordnete Manfred Weber. Die EU soll als Lehre aus dieser Affäre „unabhängiger werden“. Der sozialdemokratische Abgeordnete Dimitris Droutsas sagte: „Es wäre sehr schade, wenn das Amerika von Barack Obama einen Ruf bekommen würde, der noch negativer ist als jener des Amerika von Bush Junior.“

Forderungen nach Debatte mit Obama

Die Liberale In‘t Veld zeigte sich enttäuscht von den bisherigen Reaktionen der EU-Institutionen. Wenn Millionen europäischer Bürger belauscht worden seien, dürfe darüber „nicht hinter verschlossenen Türen“ in Expertenkommissionen beraten werden, forderte sie eine Parlamentsdebatte mit Obama. Dieser Forderung schloss sich auch die deutsche Linkspolitikerin Cornelia Ernst an. Der grüne Abgeordnete Jan Albrecht sagte zum Beginn seines Debattenbeitrags ironisch: „Liebe Geheimdienste, die uns hier zuhören.“ Mehrere Redner forderten auch, dass die Europäische Union dem US-Aufdecker Edward Snowden Asyl gewähre. Es wurde auch die Idee geäußert, dass die Europäische Union ihm einen „temporären Pass“ für einen Auftritt im Europaparlament gewähre.

Aus dem US-kritischen Konsens scherte jedoch der britische Konservative Timothy Kirkope, der die Reaktion der anderen Europaabgeordneten als „unverhältnismäßig“ brandmarkte. Wegen dieser Affäre die Freihandelsgespräche mit den USA stoppen zu wollen sei „ein Hohn für die 26 Millionen Arbeitslosen in Europa“, meinte Kirkhope in Anspielung auf die erwarteten positiven Auswirkungen der Handelsliberalisierung auf den Jobmarkt. (APA)