Draghi: EZB wird noch lange billiges Geld in Märkte pumpen
Draghi sagte, dass der aktuelle Leitzins von 0,5 Prozent „nicht die Untergrenze sei“. Außerdem sei der Ausstieg aus der ultralaxen Geldpolitik noch „weit entfernt“. Die Äußerung schickte den Euro auf Talfahrt.
Frankfurt - Die drohende Rückkehr der Schuldenkrise zwingt die EZB zu bisher nicht gekannter Offenheit und macht eine weitere Zinssenkung wahrscheinlich. „Der EZB-Rat geht davon aus, dass der Schlüsselzins in der Eurozone noch für einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen oder auch einem niedrigeren Niveau bleibt“, sagte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag und schickte damit den Euro auf Talfahrt. Mit anderen Worten: Die Europäische Zentralbank (EZB) legt sich für die nächste Zeit auf einen ultralaxen geldpolitischen Kurs fest, schließt niedrigere Zinsen nicht aus und betritt mit ihrer ungewohnten Klarheit Neuland wie vor ihr nur das US-Pendant Federal Reserve (Fed).
Die Notenbank werde ihren konjunkturstützenden Kurs so lange wie nötig fortsetzen, so Draghi. Zuvor hatte die EZB-Spitze bei ihrer Sitzung in Frankfurt beschlossen, den Leitzins auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent zu lassen. Der Italiener betonte, das sei „nicht die Untergrenze“. Der EZB-Rat habe „intensiv“ über eine sofortige Zinssenkung diskutiert und sei „offen für verschiedene Zinsvarianten“. Der Ausstieg aus der seit Jahren extrem lockeren Geldpolitik sei in der Eurozone im Gegensatz zu den USA, wo sich die Fed langsam auf ein Ende ihrer milliardenschweren Bond-Käufe und auf mittlere Sicht auch eine Zinswende vorbereitet, noch „weit entfernt“.
Draghi mit Konjunktur mäßig zufrieden
Anfang Mai hatte die EZB den Schlüsselzins wegen der harten Rezession in weiten Teilen der Eurozone zuletzt gesenkt. Im Juni hatte sich Draghi dann alle Optionen offen gelassen. Zuletzt hatten Hiobsbotschaften aus Portugal und Griechenland die Sorge vor einem neuerlichen Aufflammen der Schuldenkrise entfacht. So waren zum Beispiel die Zinsen, die Portugal am Kapitalmarkt Investoren bezahlen muss, im Zuge der dortigen Regierungskrise wieder auf mehr als acht Prozent geklettert. Auch in Griechenland droht weiteres Ungemach und eventuell ein neuerlicher Schuldenschnitt.
Die von der EZB vergangenen Sommer in Aussicht gestellten unbegrenzten Anleihekäufe kriselnder Staaten seien „nach wie vor ein effektiver Schutz“ vor einer Eskalation der Krise, sagte Draghi. Das entsprechende, im Fachjargon OMT genannte Programm sei startklar und könne jederzeit aktiviert werden, sollte ein Land unter den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM schlüpfen. Mit der Konjunktur zeigte sich Draghi nur mäßig zufrieden. Die Wirtschaft schwäche sich zwar weiter ab, aber nicht mehr so stark wie zuletzt. Er erwarte aber im Laufe des kommenden Jahres eine Erholung der Konjunktur.
Äußerung sorgte für steigende Aktienkurse
Die Äußerungen Draghis sorgten für steigende Aktienkurse, zum Beispiel stieg der Dax um mehr als zwei Prozent, während der Kurs des Euro unter 1,29 Dollar fiel. An den Rentenmärkten zogen die Kurse dagegen an, die Zinsen auf spanische und italienische Bonds gaben nach. Ulrich Wortberg von der Helaba glaubt, dass die EZB bei Bedarf ganz schnell an der Zinsschraube drehen kann: „Neu ist die Ankündigung, das Zinsniveau auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau für einen längeren Zeitraum zu halten. Damit versucht die EZB das Rendite-Niveau zu drücken und sich von den USA abzukoppeln. Zudem ist die Tür für eine Zinssenkung bei einer der kommenden Ratssitzungen weit geöffnet.“
Vor der EZB hatte bereits die Bank von England unter ihrem neuen Chef Mark Carney ihren geldpolitischen Kurs bekräftigt und den Leitzins bei 0,5 Prozent belassen. Der erste Ausländer auf dem Chefsessel der rund 300 Jahre alten Finanzinstitution stockte auch die Staatsanleihen-Käufe, mit denen die Zentralbank versucht, mehr Geld in die darbende Wirtschaft zu pumpen, vorerst nicht auf. Volkswirte hatten damit gerechnet, dass Carney zu Beginn seiner Amtszeit noch keinen eigenen Akzent setzt. Der Kanadier ist erst seit dem 1. Juli im Amt und folgt Mervyn King, der genau zehn Jahre an der Spitze der britischen Notenbank stand. (APA/AFP)