Die Krise macht Pater zu Vätern
Die Krise in Griechenland ist aus den Schlagzeilen verschwunden, nicht aber aus der griechischen Realität. Das Nonnenkloster Kalybianis auf Kreta etwa betreibt Schule und Altenheim – und kümmert sich seit Kurzem auch um Kinder, die nicht mehr in ihren Familien leben können.
Von Christina Schwaha
Maria ist dreieinhalb. Das schüchterne Mädchen mit den schwarzen Locken hängt am Rockzipfel der Nonne im kretischen Kloster Kalybianis, folgt ihr auf Schritt und Tritt. Fast sechs Monate ist es her, dass Maria in das Kinderheim kam, das seit etwa 50 Jahren von den Schwestern betrieben wird. Insgesamt leben 40 Kinder mit den 38 Nonnen, hinzu kommen rund 40 Personen, die in einem Altenheim betreut werden.
Die Nachfrage nach Plätzen ist vor allem seit der Krise weitaus größer, aber „wir sind voll“, sagt der griechisch-orthodoxe Pater Nektarios. Die Kinder stammen aus den unterschiedlichsten Verhältnissen. Viele sind Scheidungskinder, kommen aus zerrütteten Familien. Marias Eltern leiden unter starken psychischen Problemen und konnten sich nicht um ihre Tochter kümmern. „Sie kannte viele unserer Lebensmittel gar nicht, bevor sie zu uns kam“, versucht die Nonne die Lebensumstände in Marias Familie zu beschreiben.
Indes scheint Maria selbst die Aufmerksamkeit um ihre Person immer unangenehmer zu werden. Sie nuckelt an ihrem Daumen und schützt sich vor den Blicken der neugierigen Besucher, indem sie sich unter dem bodenlangen Gewand der Schwester versteckt. Die Nonne gewährt ihr Unterschlupf, nimmt sie liebevoll in den Arm.
Trotz ihres fortgeschrittenen Alters sorgt die Frau für ihre 40 Schützlinge wie eine Mutter. „Oft rufen uns die Kinder ‚Mama‘ und ‚Papa‘“, berichtet der Pater nicht ganz ohne Stolz und mit einem Lächeln, das seine Lippen während des gesamten Gesprächs nicht verlässt. „Wir sind für die Kinder da, bis sie uns nicht mehr brauchen“, sagt Nektarios. Manchen werde nach der Hochzeit sogar noch beim Hausbau geholfen. Im Gegenzug helfen die ehemaligen Heimkinder dann ehrenamtlich im Kloster mit oder versorgen dieses beispielsweise mit Lebensmitteln. Die ehrlichen Worte, die herzlichen Gesten und freundlichen Blicke – sie lassen beim Besuch des Klosters wenig Zweifel daran, dass die Nonnen den Kindern nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch die notwendige Fürsorge und Liebe schenken.
Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die Erziehung von einer gewissen Strenge geprägt ist: Die in Reih’ und Glied auf den Betten der Kinder platzierten Stofftiere und Puppen wirken verstörend. Der Anblick der unzähligen Ikonenbilder, Gebetsbücher und Fotos von Geistlichen lässt unschwer den hohen Stellenwert von Glauben und Kirche erkennen.
Das Kloster Kalybianis ist das einzige seiner Art – mit Schule, Kinder- und Altenheim – auf der Mittelmeerinsel Kreta. Es finanziert sich über den Besitz einiger weniger Ländereien, vor allem aber aus Spenden, öffentliche Gelder gibt es keine. Doch durch die Finanzkrise würde das Geld verständlicherweise nicht mehr so locker sitzen, sagt der Pater. Dafür bekomme das Kloster viele Lebensmittel aus der Umgebung. Vorerst noch genug, um alle zu ernähren.