Die Sehnsucht nach dem Eigentlichen
Im neuen Festspielhaus sind am Donnerstagabend die sommerlichen Tiroler Festspiele Erl eröffnet worden.
Von Ursula Strohal
Erl –Tief in die Geschichte eingetaucht sind Minister Karlheinz Töchterle und Hans Peter Haselsteiner in ihren Eröffnungsreden bei den Tiroler Festspielen Erl. Festspielpräsident Haselsteiner durchmaß das kriegerische 19. Jahrhundert – die Zeit der heurigen Jahresregenten Wagner und Verdi – und erinnerte an den Pariser Friedenskongress von 1849, auf dem der Dichter Victor Hugo seine Vision eines europäischen Staatenbundes darlegte. Nebenbei eine Brücke zur ersten Festspielpremiere, Verdis Oper „Rigoletto“, deren Libretto auf einem Stück von Victor Hugo basiert. Am Beispiel jener Zeit möge die Bedeutung des nunmehrigen 70-jährigen Friedens bewusst werden, „denn ohne Frieden gibt es kein Wohlergehen, weder seelisch noch materiell“. Europa dürfe man nicht nur materiell sehen, mahnte Haselsteiner und forderte einmal mehr europäische Solidarität sowie eine Haltung gegen Nationalismus, Neid und Gier ein.
Karlheinz Töchterle, Wissenschaftsminister und Altphilologe, der die Erler Sommerfestspiele eröffnete, ging dem Wesen künstlerischer Zeichen sowie des Festspiels nach und sprach von der „Sehnsucht nach dem Eigentlichen“: „Ein Zeichen verweist stets auf etwas. Ein Drama auf eine Handlung, ein Roman auf eine Geschichte, ein Wort auf eine Sache oder einen Sachverhalt. Musik verweist nicht. Musik ist das Eigentliche, ist die Präsenz.“ Darin liege ihr besonderer Zauber. Festspiele seien ein genuiner Ort für Musik, auch als identitätsstiftendes, gemeinschaftliches Element.
Landeshauptmann Günther Platter, ehemaliger Tiroler Kulturlandesrat, begab sich auf dünnes Eis: „Der Festspielsommer beginnt alljährlich mit den Tiroler Festspielen Erl, und diese sind auch gleich der Höhepunkt im Tiroler Kultursommer.“ Er sah die Erler Festspiele „abseits des Kulturbetriebes“ ohne Starkult und als „keine Pflichtübung in Sachen Kultur“.
Noch nicht ganz erwacht und meistersingerlich, aber durchschlagskräftig und gleichsam mit einem Motto eröffnete der Festspielchor den Abend: „Wachet auf!“ Mit Richard Wagner ging es auch weiter, um ihm vor dem folgenden Verdi-Opernschwerpunkt die Ehre zu erweisen. Vielleicht auch, um die Ohren hungrig zu machen für den „Ring des Nibelungen“ 2014. Nun aber gab es Ausschnitte aus „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und „Der fliegende Holländer“, dirigiert von Gustav Kuhn, der vor der Pause mit Andreas Leisner, Mauro Fabbri und Paolo Spadaro Munitto drei Jünger ans Pult gebeten hatte. Mit „La Ministro“ steuerte der Maestro, Pardon, Angelo di Montegral, eine Uraufführung bei. Ein Pasticcio aus allem und wenig, ausgeführt von Orchester, Chor, Sopran, Tenor und Bariton – es durfte assoziiert werden. Ins Repertoire muss dieses Stück nicht eingehen.
In den obligaten Jubel eingeschlossen war die Musikbanda Franui, die Schuberts „Allerseelen“ zu Herzen gehen ließ und sich mit erfrischenden Fortspinnungen und Verfremdungen an Wagner wagte. Fast am schönsten waren die Nahtstellen zwischen Franui und dem Orchester.