Die Farben der Leidenschaft
Zweiter Abend der Trilogia popolare bei den Tiroler Festspielen Erl: Gustav Kuhns dramatische Sicht auf Giuseppe Verdis „Il Trovatore“.
Von Ursula Strohal
Erl –Eine viel geschmähte Oper, eine oft verhunzte Oper, eine von Gustav Kuhn ernst genommene Oper: Mit „Il Trovatore“ setzte er am Samstag im Festspielhaus nach „Rigoletto“ Verdis folgenreiches Dreigestirn fort. Am 12. Juli folgt die Premiere von „La Traviata“.
„Il Trovatore“ ist Verdis Rückkehr zur Nummernoper und zur geschlossenen Form, Rückkehr zu einem Primat des Gesangs, hinter den die Figuren zurücktreten. Ausgenommen die Figur der Azucena mit ihren großen, offenen Szenen. Allerdings ist das mehr eine Antithese, eine Erprobung des Primats von vokal geschlossenem oder dramatisch geweitetem Format, und so macht es Kuhn am Pult seines Festspielorchesters begreifbar. Betont durch Szenenwechsel, die er durch das Schließen des Vorhangs trennt.
Kuhn lässt das Orchester laut werden, wenn die wüste Dramatik kulminiert und Stimmen und Instrumentalpart im finalen Höhepunkt ineinander aufgehen. Nicht jede Akustik erlaubt das, meistens deckt eine Gruppe die andere zu. Aber die Akustik des Festspielhauses ist so überdeutlich, dass man im Miserere die Stimme des gefangenen Manrico auch auf den oberen Rängen aus der linken Gasse hört ...
Das Orchester agiert inhaltlich im „Trovatore“ wieder weniger als in „Rigoletto“, es begleitet mehr, aber das ernsthafte Einlassen des Dirigenten auf den Orchesterpart fördert staunenswert Subtiles und Durchschlagkräftiges zutage. Man muss sie hören, die Schärfe für Lunas Härte zum Beispiel – er ist kein Gentleman! – oder die Zartheit der Geigenseufzer für Leonora in immer neuen Abschattierungen. Wenn dann die Arie nicht in alter Manier stur durchgezogen, andererseits aber auch nicht gebrochen, sondern melodisch üppig ausgestaltet und immer neu bereichert wird, gehen alle Beteiligten darin auf. Auch der Zuhörer hat die Chance, zumal er durch die deutschsprachige Übertitelung inhaltlich präzise informiert ist.
In Erl ist es nicht egal, was „da unten“ im Graben passiert, auch scheinbar Beiläufiges hat seinen komponierten Sinn, und Kuhn findet, hörbar gemacht durch sein (streicherstark besetztes) Orchester den Ton, die Emotion, die Farben der Leidenschaft, die Angst, die Unbeherrschtheit. Seine Fähigkeit zur stückadäquaten Rhetorik ist wohl eines seiner interpretatorischen Geheimnisse.
Auf der Bühne antwortete er als Regisseur auch diesmal karg, konzentriert auf Personenregie und Verständlichkeit. Zuletzt reicht ihm die ganze grausliche Turbo-Dramatik, es muss ein Ende geben. Das Spiel mündet in Abstraktion, zu den letzten Takten, den letzten Tötungsabsichten und Verzweiflungen kommen die Protagonisten an die Rampe und die soeben verblichene Leonora gesellt sich dazu. Das Einheitsbühnenbild ist von „Rigoletto“ geblieben, allerdings kommt vom Licht und von Kostümbildnerin Lenka Radecky gedeckte Farbe ins Spiel. Bühnenbildner Jan Hax Halama deutet jeweils in der Bühnenmitte mit Grün, mit Feuer, einem Zelt, Säulen usw. Schauplätze an.
Anna Princeva singt die Leonora hervorragend mit jugendfrischer Ausstrahlung und leuchtendem Sopran. Ferdinand von Bothmer, in Erl im Wagner-Fach bekannt und nach wie vor ein deutscher Tenor, geht Verdi mit Intelligenz und Stilsicherheit in der Phrasierung an, sein Manrico kann sich absolut hören lassen. Beide Sänger werden von Kuhn getragen und geradezu betreut, sie entwickeln sich nicht zuletzt in Erl durch die Chance solcher Rollen.
Michael Kupfer übersiedelt seinen Wagner-erprobten Bariton nicht mühelos zu Verdi. Sein Graf Luna tritt als durchsetzungsfreudiger Bösewicht hervor, hart und unbarmherzig im Ausdruck, es fehlt aber doch an Geschmeidigkeit. Hermine Haselböck ist als Azucena mit sattem, schönem Alt und ihrem gepflegten differenzierten Singen eine Überraschung. Prächtig der Ferrando von Giovanni Battista Parodi, sehr gut die Ines von Emily Righter, in kleinen Rollen Patrizio Saudelli, Volker Frank Giese und Luca Granziera. Sehr fein austariert und klanglich schön die Chöre.