Putsch in Ägypten: Schwerer Rückschlag für den politischen Islam
Der Putsch in Ägypten birgt Chancen, aber auch Risiken. Experten befürchten eine Radikalisierung des politischen Islams. Doch es könnte auch anders kommen, denn der politische Islam ist vor allem an der eigenen Konzeptlosigkeit gescheitert.
Von Samia Nakhoul
Kairo, Tunis – Der Sturz von Präsident Mohammed Mursi und seiner Muslimbruderschaft ist ein strategischer Rückschlag für den politischen Islam weit über die Grenzen Ägyptens hinaus. Dass die Bruderschaft ausgerechnet in ihrer Heimat an der Regierung gescheitert ist, wird Experten zufolge ihrem Ruf von Tunesien bis Syrien schaden.
Gegen Mursi gingen nur ein Jahr nach seinem Amtsantritt mehr Menschen auf die Straßen von Kairo als bei der Revolution gegen seinen Vorgänger Hosni Mubarak, der 2011 während des Arabischen Frühlings nach Jahrzehnten entmachtet wurde. Umgekehrt könnte Mursis Schicksal die Islamisten in der Region davon überzeugen, dass die Demokratie für sie keine Alternative ist.
„Ein Desaster, ein Rückschlag“
„Das ist ein Desaster. Es ist ein schwerer Rückschlag für die ganze islamische Bewegung“, sagt Fawaz Gerges von der London School of Economics. Die schlechte Regierungsarbeit der Islamisten unter Mursi untergrabe ihr Image und ihren Ruf bis in die Türkei. „Das wirft Fragen nach ihrer Kompetenz auf, nach ihrer Regierungsfähigkeit.“
Gerade weil die 1928 gegründeten Muslimbrüder so gut organisiert sind – ein Grund für ihre Siege bei der Parlaments- und Präsidentenwahl – hatte kaum jemand erwartet, dass ihre Regierung solche Probleme haben würde. „Es ist klar, dass sie keine Ideen haben“, sagt Gerges. „Im Prinzip hat der Kaiser keine Kleider. Die islamische Bewegung ist jetzt nackt.“
Nicht nur auf dem Tahrir-Platz im Herzen Kairos wurde die Nachricht von der Entmachtung Mursis begeistert aufgenommen. In Tunesien, dem Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings, strömten die Menschen zur ägyptischen Botschaft in Tunis und feierten.
„Heute Ägypten, morgen Tunesien“, skandierten sie, sowie „Nieder mit der Herrschaft der Muslimbruderschaft, nieder mit der Herrschaft von Ennahda“, der islamischen Regierungspartei. Sollte die Bruderschaft in Tunesien unter Druck kommen, würde sich die Regel der Politikwissenschaftler bestätigen, dass Ägypten eine Vorreiterrolle für die Region hat.
Sturz der Regierung „besorgniserregend“
Auch Jane Kinninmont vom Chatham House geht davon aus, dass die Muslimbruderschaft in Ägypten zu viel Macht haben wollte und nicht genug auf ihre Kritiker gehört habe. Allerdings sei der Sturz der Regierung durch das Militär besorgniserregend. Die Bewegung werde weiterhin an die Macht streben. „Sollten sie zu der Überzeugung kommen, dass friedliche Wahlen keine glaubwürdige Option sind, könnte das sehr gefährlich werden“, warnte sie.
Ohnehin sehen einige Islamisten die Demokratie bereits als einen fragwürdigen Import aus Europa, der das Ziel habe, sie von den Regierungsämtern fernzuhalten. Ein Berater Mursis schrieb noch während der Massenproteste, dass nun eine Botschaft „laut und deutlich“ durch die islamische Welt hallen werde: „Die Demokratie ist nichts für Muslime.“ (Reuters)