Ägypten

Salafisten blockieren ElBaradei als ägyptischen Regierungschef

Zunächst hatte es geheißen, der Friedensnobelpreisträger werde eine Übergangsregierung leiten. Doch die Berufung zum Interims-Premier ist noch nicht offiziell. Es werden Gespräche geführt.

Kairo – Der vom Militär initiierte Machtwechsel in Ägypten gerät zur Hängepartie: Nach blutigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der gestürzten Staatsführung sowie staatlichen Sicherheitskräften sollte Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei schon Samstagabend zum neuen Übergangsregierungschef ernannt werden. Doch die salafistische Al-Nur-Partei blockierte den Beschluss zunächst und enttäuschte damit Hoffnungen auf ein rasches Ende der gesellschaftlichen Turbulenzen, zumal beide rivalisierenden Lager neue Massenproteste ausriefen.

Ausgangspunkt für das politische Chaos war die Entmachtung des seit einem Jahr amtierenden islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär, das neben dem Staatschef auch etliche Führungskader seiner Muslimbrüder festsetzen ließ. Daraufhin suspendierte die Afrikanische Union Ägyptens Mitgliedschaft. Mursis Sympathisanten lieferten sich seit Freitag brutale Straßenschlachten mit ihren Gegnern und Sicherheitskräften, dabei wurden landesweit mindestens 37 Menschen getötet und mehr als 1400 verletzt. Im Sinai attackierten wütende Islamisten Regierungsgebäude und eine Gas-Pipeline und töteten einen koptischen Priester.

Demonstranten feierten bereits ElBaradei

Am Samstagabend hieß es dann aus mehreren offiziellen Quellen, ElBaradei sei zum Chef einer mit den „vollen Befugnissen“ ausgestatteten Übergangsregierung ernannt worden. Doch der persönliche Berater des als Interims-Präsident eingesetzen obersten Verfassungsrichters Adli Mansur ruderte kurz darauf wieder zurück: ElBaradei sei zwar „die logische Wahl“ für den Posten, aber noch nicht offiziell ernannt, betonte Ahmad al-Muslimani. Angekündigte Stellungnahmen Mansurs und El-Baradeis wurden wieder abgesagt.

Zuvor hatten Demonstranten die offenbar vorschnell verkündete Personalie auf dem symbolträchtigen Tahrir-Platz in Kairo und vor dem Präsidentenpalast mit Hupkonzerten, Feuerwerkskörpern und wehenden Fahnen bejubelt. Sie machen Mursi und seine Muslimbrüder für eine amateurhafte Wirtschaftspolitik und eine zunehmende Islamisierung des Landes verantwortlich. Für Sonntag kündigte die maßgeblich an Protesten gegen Mursi beteiligte Tamarod-Bewegung eine neue Großversammlung auf dem Tahrir-Platz an, auch die Islamisten planten eigene Demonstrationen.

ElBaradei sendet versöhnliche Signale

ElBaradei hatte - ebenso wie andere politische und religiöse Führungspersönlichkeiten - Mursis Absetzung befürwortet und war in der Vergangenheit vor allem vom Westen immer wieder als Hoffnungsträger für den demokratischen Transformationsprozess ins Spiel gebracht worden. Nach jahrzehntelanger diplomatischer Tätigkeit im Ausland war er ein Jahr vor dem Sturz des ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak im Februar 2011 in seine Heimat zurückgekehrt und hatte sich für Ägyptens demokratischen Wandel stark gemacht. Als Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA erhielt ElBaradei 2005 den Friedensnobelpreis.

Nachdem das Militär die islamistisch geprägte Verfassung ausgesetzt und vorgezogene Präsidentenwahlen ohne konkretes Datum angekündigt hatte, wagte ElBaradei im Gespräch mit dem „Spiegel“ eine erste Prognose: Mit demokratischen Wahlen sei „spätestens in einem Jahr“ zu rechnen, sagte er dem Nachrichtenmagazin. Gleichzeitig sendete er versöhnliche Signale an die Muslimbrüder: „Niemand darf ohne triftigen Grund vor Gericht gestellt werden. Ex-Präsident Mursi muss mit Würde behandelt werden“, das sei die „Voraussetzung für eine nationale Versöhnung“.

Doch die islamistische Al-Nur-Partei, die sich mit den vorwiegend säkularen Kritikern Mursis zusammengetan hatte, begrüßte ElBaradeis Ambitionen keineswegs. „Herr ElBaradei ist ein Technokrat und nicht in der Lage, die Spaltung auf den Straßen zu überwinden“, sagte das ranghohe Parteimitglied Nader Bakkar der Nachrichtenagentur AFP. (APA/AFP)