Schlaganfall-Opfer

„Aufgeben tu’ ich a Briefl, nicht das Leben“

Bis vor einem Jahr lebte der Musiker Wickerl Adam für die Bühne. Ein Schlaganfall veränderte seine Prioritäten. Derzeit legt der Wiener eine 2000 Kilometer lange Wanderung quer durch Österreich zurück, um Spenden für Schlaganfallopfer zu sammeln.

Von Judith Sam

Wenn man Ludwig „Wickerl“ Adam auf seinen Schlaganfall anspricht, überrascht die Antwort: „Das war ein fantastisches Erlebnis – ich möchte es nicht missen.“

Dabei machte der 64-jährige Gründer des Musikprojekts „Hallucination Company“ – das namhafte Musiker wie Falco hervorbrachte – zahllose Erfahrungen in seinem Leben: „1978 etwa erteilte mir der Bischof nach einem Auftritt in Tirol ein Spielverbot – wegen obszönen Verhaltens.“ Während sich eine Frau auf der Bühne auszog, sang ein Mann in 20 Sprachen „Ich liebe dich“. Anschließend kam Wickerl auf die Bühne, um die Besucher zu maßregeln: „Er singt sich voller Romantik die Seele aus dem Leib und ihr habt nur Augen für die Nackade.“

Vor einem knappen Jahr machte eine Gehirnblutung die Bühnenpläne des Musikers vorläufig zunichte: „Kurz vor Mitternacht war ich auf dem Weg ins Bett, als ich den Eindruck hatte, der Boden würde sich vor mir öffnen, ich könnte Tausende Meter in die Tiefe blicken und die Wände würden über mir einbrechen. Der Schlaganfall ähnelte einer wunderbaren halluzinogenen Erfahrung.“

So viel zum „fantastischen Teil“. Dessen Konsequenzen waren weniger faszinierend: „Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten, robbte auf den Armen zum Bett, hievte mich leise hinein – um meine Frau nicht zu wecken – und schlief 18 Stunden lang wie ein Baby.“

Als seine Beine am nächsten Morgen immer noch den Dienst versagten und er nicht mehr in der Lage war zu sprechen, verfasste er eine SMS an seinen Sohn, der prompt die Rettung rief. Diagnose: Blutdruck von 240 zu 140, Schlaganfall, drei Wochen Intensivstation, vier Wochen Reha.

„Die meisten Schlaganfallpatienten dort kapitulierten und rutschten rasch in ein finanzielles Desaster. Doch ich habe ein anderes Credo: ,Aufgeben tu’ ich a Briefl oder Paket, nicht mein Leben.‘“

Kurz darauf lernte Wickerl eine Steirerin kennen, die ihn indirekt animierte, ein wohl einzigartiges karitatives Projekt ins Leben zu rufen. Ihr Mann hatte einen folgenschweren Schlaganfall erlitten, war gelähmt und konnte nicht sprechen. Die Steirerin fragte bei den Behörden an, ob sie den Umbau zu einem behindertengerechten Bad mitfinanzieren würden. „Die offizielle Antwort lautete, dass der Vorfall nicht gravierend genug sei, um ihr Geld zur Verfügung zu stellen“, erinnert sich Wickerl: „Da wünschte ich mir, in einen Geldtopf greifen zu können, um ihr zu helfen.“ Da er über dieses Geld jedoch nicht verfügte, gründete er den Verein „Der Weg des Willens“, wo Spenden für Schlaganfallopfer lukriert werden.

„Doch wie sollte ich darauf aufmerksam machen? Ich dachte mir: ,Reduzier‘ dich auf das, was du noch kannst. Viel blieb da nicht übrig, doch das Gehen funktionierte nach der Reha wieder ganz gut. Nur, wer interessiert sich dafür, ob ich gehe? Keiner.“ Da beschloss Wickerl kurzum, quer durch Österreich zu gehen – knapp 2000 Kilometer in 100 Tagen.

Am 22. Mai startete die Reise von Wien über St. Pölten, Salzburg, Linz, Bregenz, St. Anton bis Innsbruck – wo die TT ein paar Meter mit ihm zurücklegte. „Ich habe jetzt etwa die Hälfte der Strecke geschafft. Eine große Herausforderung, vor allem, weil ich wegen des Schlaganfalls kein Gleichgewicht mehr habe – schon ein leichter Windstoß bringt mich ins Trudeln“, resümiert der unverwüstliche Wiener. Kein Wunder, dass der Rucksack auf dem „Weg des Willens“ zu seinem Feind wurde: „Wegen des 15 Kilo schweren ,Typen auf meinem Rücken‘ taumle ich oft mehr, als ich gehe und muss teils alle 500 Meter Übungen machen, um der Schmerzen Herr zu werden.“

Die nächsten Ziele auf Wickerls Tour sind Lienz, Villach, Klagenfurt, Graz, Eisenstadt und Wien. Sein Sohn stellt ihm jeden Tag eine neue Etappe über 13 bis 20 Kilometer zusammen – je nach Wetter und zurückzulegenden Höhenmetern – und bucht Pensionen für die Übernachtungen. Gesponsert wird die Tour von Niederösterreich unter den Fittichen von Landeshauptmann Erwin Pröll. „Wir verstehen uns sehr gut, auch wenn ich nicht bei seiner Partei bin“, lacht Wickerl: „Pröll sponsert übrigens auch die anschließende Tour im Auto quer durch Österreich.“

Nach Abschluss seines Marsches – voraussichtlich am 6. September – plant Wickerl, Vorträge zum Thema Schlaganfall in allen österreichischen Hauptstädten zu halten: „Ich will den Leuten vermitteln, dass sie trotz fataler Diagnose nicht kapitulieren sollen. Hätte ich mich aufgegeben und nicht wieder gelernt zu gehen, hätte ich den ,Weg des Willens‘ – vielleicht mein letztes Abenteuer – nicht bestreiten können.“