Debatte um Filibuster

Kuriosum in den USA: Dauerreden macht das Regieren schwer

Mit einem Elf-Stunden-Redemarathon hat die Demokratin Wendy Davis eine extreme Verschärfung des Abtreibungsrechts in Texas kurzzeitig verhindert.
© EPA

Der Filibuster ist ein Kuriosum der amerikanischen Politik. Das Dauerreden lähmt das Parlament, erschwert das Regieren. Kann das so weitergehen? Ein heftiger Streit wütet in Washington.

Washington - Erst kürzlich hatte ein Redemarathon in der US-Politik Schlagzeilen gemacht. Sage und schreibe elf Stunden lang stand die zierliche Wendy Davis im Senat in Texas am Rednerpult. Um bequem zu stehen, trug sie lachsfarbene Turnschuhe. Zweimal durfte sie kurz wegtreten, Wasser trinken, sich hinsetzen. Mit dem rhetorischen Kraftakt wollte die 50 Jahre alte Demokratin eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes verhindern. Es gelang ihr, wenn auch nur zeitweilig. Jetzt ist die als Filibuster bekannte Boykott-Strategie in Washington heftig ins Gerede geraten. Ist das Ganze noch zeitgemäß?

Dabei sind elf Stunden noch gar nichts. Im Mai 1977 habe es der damalige demokratische Senator Bill Meier ebenfalls in Texas sogar auf 43 Stunden gebracht, enthüllt die „New York Times“. Zur Stärkung habe er Bonbons und Zitronenscheiben gelutscht, unter der Hose trug er einen „Astronauten-Beutel“. „Ich war müde und hungrig. Alles, was ich danach wollte, war ein heißes Bad und ein großes Steak“, meint der heute 72-Jährige, der inzwischen zu den Republikanern übergelaufen ist.

„Washingtons Sucht nach Drama ist für niemanden gut“

Das Thema Filibuster erhitzt derzeit (wieder einmal) die Gemüter in Washington: Monatelang hatten die Republikaner im Senat die Bestätigung wichtiger Ernennungen für Regierungsposten durchkreuzt - der Chef der Verbraucherschutzbehörde, Richard Cordray, musste gar zwei Jahre auf das Votum der kleinen Parlamentskammer warten. Ein echtes Ärgernis für Präsident Barack Obama.

Die beiden Parteien in Washington sind tief zerstritten und können sich bei vielen Themenfeldern kaum auf Kompromisse einigen. Eine Zusammenarbeit zwischen Demokraten und Republikanern ist die Ausnahme geworden. Erst im März verhinderte der republikanische Senator Rand Paul mit seiner 13-Stunden-Rede vorerst die Ernennung des neuen CIA-Chefs John Brennan.

Kaum jemand in Washington hat Verständnis für den Showdown. „Washingtons Sucht nach Drama ist für niemanden gut“, kommentierte die „Washington Post“ kopfschüttelnd. Die Republikaner würden die Filibuster-Regeln missbrauchen, um dem Präsidenten Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Vor allem seitdem in den Reihen der Republikaner die Fundamentalopposition der „Tea-Party“-Bewegung an Einfluss gewinnt, wird das Filibustern zur echten Keule.

Die Filibusterregeln sind einmalig in den USA. Die Bezeichnung geht auf das niederländische Wort für Freibeuter zurück. In kaum einem anderen Land hat das Obstruktionsmittel des Dauerredens eine derartige Bedeutung wie im Senat in Washington. In Berlin etwa gibt es feste Redezeiten. Wer diese überschreitet, der riskiert, das Mikrofon abgeschaltet zu bekommen. Das Verrückte in Washington ist: In der Verfassung ist vom Filibustern an keiner Stelle die Rede.

Dauerreden darf weitergehen

Ein echtes Kuriosum: 100 Senatoren zählt der Senat. Die Mehrheit für ein Gesetz liegt also bei 51 Stimmen. Doch laut Geschäftsordnung braucht es 60 Stimmen, um die Debatte zu beenden und zur Abstimmung zu schreiten. Ursprünglich war die Regelung als eine Art Minderheitenschutz gegen übermächtige Präsidenten- und Parteienmacht gedacht - jetzt nutzt es die Fundamentalopposition.

So wird Regieren zum absurden Hindernislauf: Obamas Demokraten haben zwar im Senat die Mehrheit, ein Gesetz durchzubringen - doch nicht genug Stimmen, den Boykott der Republikaner zu brechen. Zeitweise drohte der demokratische Fraktionschef Harry Reid im jüngsten Streit gar, die ganze Filibuster-Regelung zu kippen.

Doch dann gab es in letzter Minute eine Einigung - und das Dauerreden darf weitergehen. Die Entscheidung ist Teil eines größeren Kompromisses zwischen Republikanern und Demokraten im Senat. Die Republikaner gaben ihren Widerstand gegen die Bestätigung von sieben Personalentscheidungen von Präsident Barack Obama auf, im Gegenzug nahmen die Demokraten ihren Vorschlag zur Abschaffung des Filibusters zurück.

Das Vertrackte: Auch die Demokraten wollen es nicht wirklich abschaffen - wenn sie in der Opposition sind, machen sie davon nämlich ebenfalls gerne Gebrauch. (dpa, TT.com)

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