Literatur

Der Mörder ist doch nebensächlich

Innsbruck – „Der klassische Krimi hat nichts dazugelernt“, schrieb Raymond Chandler in „Die simple Kunst des Mordes“, einer programmatischen...

Innsbruck –„Der klassische Krimi hat nichts dazugelernt“, schrieb Raymond Chandler in „Die simple Kunst des Mordes“, einer programmatischen Kampfansage an den Kriminalroman englischer Prägung. Es gebe die sich angiftenden Verdächtigen, einen neunmalklugen Ermittler, „Polypen, die auf dem Perserteppich hin und her kriechen“ – und ein gehöriges Glaubwürdigkeitsproblem. Der Kriminalroman, so Chandler, müsse aus dieser „venezianischen Vase“ geholt und dahin gebracht werden, wo Verbrechen zur Tagesordnung gehören: auf die Straße. Dashiell Hammett habe das mit „Der Malteser Falke“ (1929) vorgemacht. Und diesem Vorbild der „hard boiled novel“ eiferte Chandler – nach desaströsen Gehversuchen im Öl-Business beim Schreiben von Crime-Storys für Groschenhefte gelandet – nach. Für seinen ersten Roman „Der große Schlaf“ (1939) ersann er den zum Zyniker gewordenen Privat-Schnüffler Philip Marlowe, der sich an einer korrupten und gewalttätigen Welt regelmäßig die Zähne ausbeißt. Marlowe weiß, dass Wahrheit ein dehnbarer Begriff ist. Und dass ein Menschenleben in Zeiten der Gewinnmaximierung nichts wert ist, liegt sowieso auf der Hand. Dementsprechend nebensächlich ist das Rätsel, dass der Detektiv zu lösen hat. Spannung entsteht bei Chandler aus dem bedrückenden Gefühl ständiger Bedrohung und aus der abgebrühten Gewissheit, dass alles Ermitteln keinen Mächtigen zu Fall bringen wird.

Als Howard Hawks das Buch 1946 mit Humphrey Bogart verfilmte, ließ er bei Chandler nachfragen, wer nun den Mord am Chauffeur, der die Handlung ins Rollen bringt, begangen habe. „Da bin ich mir nicht sicher“, soll Chandlers Anwort gewesen sein.

Anlässlich des 125. Geburtstags des Autors am 23. Juli dieses Jahres, hat der Diogenes Verlag alle sieben Marlowe-Romane, darunter die Klassiker „Lebwohl, mein Liebling“ (1940) und „Der lange Abschied“ (1953), in einem Schuber neu aufgelegt. In der Edition Büchergilde ist eine edel ausgestattete und von Thomas Müller illustrierte Neuausgabe von „Der große Schlaf“ erschienen. (jole)

Raymond Chandler. Der große Schlaf. Illustriert von Thomas Müller, Ed. Büchergilde, 307 S., 24,95 €. Raymond Chandler. Die Philip-Marlowe-Romane (7 Bände im Schuber). Diogenes, 1920 S., 60,70 €.