Literatur

Die Windstille des Lebens

Ein autobiographisch grundiertes Spiel mit der Fiktion: Eugen Ruges als Roman getarnte Novelle „Cabo de Gata“ lässt einen Schriftsteller an seinem neuen Buch verzweifeln.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Mit seinem ersten Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ vermaß Eugen Ruge die Geschichte der DDR als gescheitertes sozialistisches Experiment in Form eines Gesellschaftsromans, für den das Schicksal seiner eigenen Familie Pate stand. Dem späten Debütanten, beim Erscheinen seines Erstlings war Ruge bereits 56 Jahre alt, gelang damit ein großer Wurf. Der Roman heimste Auszeichnungen (darunter den Deutschen Buchpreis) ein, stand wochenlang an der Spitze einschlägiger Bestenlisten und wurde in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Man hat diesen ebenso durchschlagenden wie überraschenden Erfolg unweigerlich im Hinterkopf, während man Ruges neues Buch „Cabo de Gata“ liest. Der schmale Band – mehr Novelle als Roman – erzählt gewissermaßen die Vorgeschichte zum Bestseller. Gewissermaßen, weil Ruge als mit allen Wassern gewaschener Erzähler gleich zu Beginn einen doppelten Boden einzieht: „Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war.“

Ein nicht mehr ganz junger Schriftsteller erinnert an einen etwa 15 Jahre zurückliegenden Schreibaufenthalt am titelgebenden Cabo de Gata, dem Kap der Katzen im Süden Andalusiens. Dort – in einem heruntergekommenen Dorf am Meer – will er schreiben. Eine grobe Vorstellung, wie der Roman aussehen soll, gibt es, am ersten Satz scheitert er allerdings ein ums andere Mal. Viel mehr passiert eigentlich nicht. Auf den ersten Blick jedenfalls: Immer wieder liest er in einer abgegriffenen Ausgabe der Tageszeitung El País von der Einstellung des Verfahrens gegen Erich Honecker, die missmutigen Einheimischen ignorieren ihn, nur eine streunende Katze sucht und findet die Nähe des Fremden, der ziellos durch die winterlich klamme Einöde streift, beobachtet und erinnert. „Cabo de Gata“ besticht nicht durch Handlung – einen handelsüblichen Plot gibt es nicht –, sondern durch die geschilderte Atmosphäre.

Ganz behutsam führt Ruge einen nach autobiografischem Muster gezeichneten Autor vor, der an einem unwirtlichen Ort und in der Windstille des Lebens an der sich selbst gestellten Aufgabe scheitert und sich in seltsamen Marotten verirrt. Aber selbst darum geht es nur am Rande, denn Ruge erzählt dieses Versagen als Komödie. Seine dichte Beschreibung eines wenig einladenden „letzten Paradieses auf Erden“ strotzt von leichter Ironie und hintersinniger Komik. Im Gespräch mit einer Zufallsbekanntschaft lässt der Zivilisationsmüde den Blick über eine feindselige Fremde, die klingt wie „ablaufendes Spülwasser“, streifen und gibt sich als Peter Handke aus. Fraglos, ein intertextueller Schenkelklopfer, aber eben auch die schleichend sich bahnbrechende Gewissheit, dass in „Cabo de Gata“ ein Erzähler am Werk ist, der den Vergleich mit den ganz großen Beschreibern des Nichts aufnehmen kann.

Eugen Ruge. Cabo de Gata, Rowohlt, 203 Seiten, 19,95 Euro.