Sie haben uns das Licht wiedergegeben
Bilbao lebt vom „Guggenheim-Effekt“ und schafft ständig neue Sehenswürdigkeiten. So wurde aus einer Stadt mit dreckigem Containerhafen eine europäische Kultur-Metropole.
Von Franz Michael Rohm/SRT
Bilbao –Zwischen Quellwolkenweiß und dunklem Felsgrau wechselnd spiegelt sich der bedeckte Himmel Bilbaos auf dem silbrigen Metall. Seit sechzehn Jahren zieht Frank Gehrys titanplatten-verkleideter Kunsttempel die Blicke von Bewohnern und Besuchern der Stadt auf sich. Und jeder, der in die größte Stadt des Baskenlandes kommt, will das Guggenheim sehen.
Schon auf dem Weg von Santiago Calatravas grätenweißem, lichtem Flughafengebäude in die Stadt hinein fährt man direkt am 1997 eröffneten Guggenheim-Museum vorbei. Rechterhand der Brücke über den Nervion zieht es den Blick magnetisch zu der elegant geschwungenen Konstruktion, mit der Bilbao die Wende von einer niedergehenden Industriestadt zur prosperierenden Dienstleistungsmetropole markiert.
„Früher legten an dieser Stelle die Bananenfrachter von den Kanarischen Inseln an. Nebenan befand sich ein dreckiger Containerhafen und entlang des Flusses rumpelten die ganzen Kohle- und Erzzüge zu den sich anschließenden Werften und Stahlbetrieben“, erzählt Taxifahrer Maurizio Sanchez. Wie alle Bilbaínos ist er froh über die Wende, die seine Stadt vollführt hat. „Mit dem Guggenheim haben sie uns das Licht wiedergegeben“, sagt er.
„Man kann sich nicht vorstellen, wie grau und schwarz die Stadt einmal war. Der Fluss wand sich als stinkende Kloake durch Bilbao, die Menschen lebten völlig abgewandt vom Wasser“, berichtet Ruben Rodríguez, Direktor des Fünf-Sterne-Miliá-Hotels.
Mehr als eine Million Besucher zählte die nordspanische Metropole im vergangenen Jahr. Und jeder davon hat das Guggenheim besucht. „Aber“, sagt der Hoteldirektor, „wir haben nicht nur das Guggenheim.“
Dann zählt er auf: den 2012 eröffneten 165-Meter-Glasturm des Energieriesen Iberdrola, gestaltet vom argentinischen Architekten Cesar Pelli, die Büro- und Wohnhaustürme von Arata Isozaki, die Corten-Stahloper Euskalduna mit 2300 Sitzplätzen, die von außen wie ein Trockendock und von innen wie ein Schiffsbug aussieht, das Museo de Bellas Artes sowie das von Philippe Starck zu einem Bürgerhaus mit Schwimmbad, Mediathek und Ausstellungssaal gestaltete alte Zollweinlager Alhóndiga. Und demnächst kommt ein neues Stadtviertel auf einem verlassenen Industriegelände hinzu, das von der britischen Stararchitektin Zaha Hadid projektiert wird.
„Bilbao spielt weiter in der ersten Liga des europäischen Kulturtourismus, auch wegen unserer exzellenten Gastronomie und urbanen Bodegas“, sagt Hoteldirektor Rodríguez stolz. Natürlich spüre auch Bilbao die dramatischen Folgen der Wirtschaftskrise. Täglich ziehen Demonstranten durch die Stadt und protestieren gegen Sparmaßnahmen, die oft Entlassungen und immer Lohneinbußen mit sich bringen.
„In Bilbao liegt die Arbeitslosenquote bei 18 Prozent, in Andalusien bei über 30. Noch stehen wir ganz gut da“, sagt der Hoteldirektor.
Handel und Industrie haben über die Jahrhunderte die Geschicke der Stadt bestimmt, die sich immer wieder wandelt. Als rührig und arbeitsam gelten die Einwohner, als eigensinnig – und genussfroh. „Sieh dir an, was hier los ist“, sagt Mikel Echarri.
Der bekannte Volksschauspieler führt nebenbei das Café Bilbao an der Plaza Nueva im Casco Viejo, der Altstadt auf der linken Seite des Flusses. Morgens nehmen in dem mit viel Blau und vielen Mosaiken dekorierten Lokal aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Büromenschen ihren ersten Cortado, einen kleinen Milchkaffee, und ein Croissant.
Ab Mittag füllt sich der Schankraum mit Hungrigen, die sich auf Pintxos stürzen, die Spezialität von Bilbao und dem gesamten Baskenland. Dutzende und Aberdutzende von kleinen Tapas werden jeden Vormittag in den Küchen der Bars zubereitet. In den Vitrinen des Café Bilbao stapeln sich appetitanregende fingerlange Schinkenbrötchen, Kanapees mit Krabbensalat, andere mit Thunfischmousse und Tomatenhack, mit Zucchinisalat und Käse, und, und, und ...
Ob es überhaupt Einwohner gibt, die für sich selbst kochen? „Ich kenne nur wenige“, sagt Darran Willamson. Der 38-Jährige aus Manchester hat in Drei-Sterne-Restaurants gekocht, bevor er seine Pintxo-Bar Bitoque an der altehrwürdigen Plaza Jardines de Albia eröffnete. Mehrmals wurde er mit avantgardistischen Kreationen wie zweierlei Sardellenfilets mit Wakame-Algen oder Mini-Hamburgern vom Thunfischbauch für die besten Pinxtos der Stadt ausgezeichnet.
Pintxo-Hopping zählt übrigens zu den Lieblingsbeschäftigungen der Bilbaínos. Ein bis drei Euro kosten die Kleinigkeiten, dazu gibt es ein kaltes Bier oder Wein aus dem Anbaugebiet der baskischen Rioja. Beliebter Weißer ist der trockene Txakoli.
Über den Bars, Restaurants und Geschäften der Altstadt verengen hölzerne Wintergärten die Sträßchen. In der Calle del Perro steht ein Männergesangsverein und schmettert baskische und spanische Weisen aus voller Kehle in den frühen Mittag. Sie heißen Txikiteros, übersetzt „Kleinschlucker“.
Eine drollige Bezeichnung, denn den Wein trinken die Männer aus zahnputzbechergroßen Gläsern, allerdings in kleinen Mengen. Schließlich geht es noch in zahlreiche weitere Bars, bis das Liedrepertoire für den heutigen Tag erschöpft ist.
In den Gassen rund um die Plaza Nueva herrscht nachmittags reges Treiben. Dort findet man trendige Geschäfte wie Tokyo Story, Skunkfunk oder Trakabaraka, die ausgefallene Mode und Vintagemöbel zu erschwinglichen Preisen anbieten. Edle Boutiquen und hochpreisige Designgeschäfte präsentieren ihre glänzenden Schaufenster fünfzehn Fußminuten weiter im Stadtteil Ensanche, entlang der Haupteinkaufstraße Gran Via.
Die Bilbaínos lieben das Besondere und haben Humor. Der Lieblingswitz von Taxifahrer Sanchez geht so: Ein Mann aus Bilbao kommt mit seinem Kind ins Krankenhaus. „Der Arm ist gebrochen, den müssen wir gipsen“, sagt der Arzt. „Nehmen Sie dafür bitte Marmor“, antwortet der Vater.