Ein Jahr danach: Draghis Euro-Rettung bleibt umstritten
Mit einem Versprechen schrieb EZB-Präsident Draghi im vorigen Sommer Finanzgeschichte. Seine damalige Bestandsgarantie für den Euro gilt als entscheidender Befreiungsschlag in der Schuldenkrise.
Von Eva Scherer und Hannes Breustedt, dpa-AFX
Frankfurt - Vor einem Jahr sprach Mario Draghi die magischen Worte: „Die EZB wird alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir - es wird ausreichen“. Heute ist der Zusammenbruch der Eurozone kein Thema mehr. Dennoch bleibt Draghis Kurs umstritten. Die Kritiker von „Super-Mario“, wie die Finanzmärkte ihren Helden nennen, sind vor allem in Deutschland nicht verstummt.
Der Euro steht auf dem Spiel
London, 26. Juli 2012: Für Europas obersten Notenbanker steht nicht weniger auf dem Spiel als der Euro selbst, als er auf der „Global Investment Conference“ vor die Mikros tritt. Draghi hat turbulente Wochen und Monate hinter sich. Die Europäische Zentralbank (EZB) bietet Geld so billig an wie noch nie, sie gibt wankenden Banken über Jahre Kredite zum Schleuderpreis, doch es nützt alles nichts: Zocker setzen auf das Ende der Währungsunion und auch langfristig orientierte Großinvestoren ziehen verängstigt ab. Krisenstaaten wie Italien und Spanien, die gemeinsam unter keinen Rettungsschirm passen, zahlen am Anleihemarkt enorme Zinsen, drohen sogar ganz von ihnen abgeschnitten zu werden. Die Politik scheint unfähig, die Krise zu lösen. Selbst Euro-Optimisten tun sich schwer mit Durchhalteparolen.
Letzter Ausweg: EZB. Die Notenbank soll, so die Hilferufe aus den Krisenländern, wieder Staatsanleihen kaufen, um den Zinsdruck zu lindern. Draghi liefert. Er tut es ganz bewusst in London, dem wichtigsten Finanzplatz Europas. Die Euro-Garantie wird gezielt vor internationalen Investoren lanciert. Die Märkte verstehen sofort - die EZB macht ernst. Die Anleihezinsen der Krisenstaaten rauschen schlagartig nach unten, Eurokurs und Aktienmärkte klettern.
Im September konkretisiert die EZB das Versprechen: Das neue Anleihekaufprogramm (OMT) wird offiziell aufgelegt. Herzstück und zugleich größter Streitpunkt: Das Programm sieht, anders als das nicht dauerhaft wirksame erste unter Draghi-Vorgänger Jean-Claude Trichet, den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen vor. Bedingung für Eingriffe der EZB ist allerdings, dass Krisenstaaten einen Hilfsantrag beim Rettungsschirm stellen und sich strikten Reformvorgaben unterwerfen.
Staatsfinanzierung durch Notenpresse
Das sei Staatsfinanzierung durch die Notenpresse - streng verboten, schimpfen Kritiker, darunter der deutsche Bundesbankchef Jens Weidmann. Sie fürchten auch, dass der Spardruck durch die Notenbankgarantie nachlässt.
Ein Jahr nach Draghis Machtwort fällt die Bilanz imposant aus. Die Märkte sind beruhigt, Spanien und Italien können sich wieder problemlos frisches Geld am Anleihemarkt besorgen. Selbst Regierungskrisen wie gerade erst in Portugal lassen Investoren nicht mehr am Fortbestand der Währungsunion zweifeln. Und das, obwohl die EZB ihr Rettungsprogramm noch nicht mal aktivieren musste. „Die Märkte haben volles Vertrauen, dass der Euro eine starke und stabile Währung ist“, stellt Draghi selbstbewusst fest, als er im Mai nach London zurückkehrt, um über die Zukunft Europas zu referieren.
Auch Experten stellen ein gutes Zeugnis aus. „Dank des Versprechens, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, konnte ein Wiederaufflammen der Krise verhindert werden“, sagt Christian Schulz von der Berenberg Bank. Das Sicherheitsnetz der EZB habe wiederholt seine Belastbarkeit unter Beweis gestellt. Nicht nur die Finanzmärkte hätten sich entspannt, mittlerweile nähmen auch die Zeichen für ein Ende der wirtschaftlichen Misere in den Krisenländern zu. „Die Reformen beginnen, sich auszuzahlen“, kommentiert Schulz die jüngsten Wirtschaftsdaten und widerspricht damit den Befürchtungen, die Staaten könnten zum Schlendrian zurückkehren.
Um Draghis London-Rede als Wendepunkt in der Euro-Krise in die Geschichtsbücher zu schreiben, ist es dennoch zu früh. Die Schuldenquoten fast aller Euro-Staaten klettern weiter. Krisenländer wie Griechenland, Zypern und Portugal haben Schwierigkeiten, ihre Reformziele zu erreichen. Musterschüler Irland ist überraschend in die Rezession zurückgefallen. Trotz der jüngsten Hoffnungsschimmer bleibt der konjunkturelle Ausblick im Währungsraum trüb. Die Eurozone ist das Sorgenkind der Weltwirtschaft. Die EZB kann den Regierungen Zeit kaufen, an die Wurzel der Probleme kommt sie nicht.