Chodorkowski-Prozess laut EGMR nicht politisch motiviert
Dem Urteil zufolge stand der Prozess gegen den Regierungskritiker und einst reichsten Russen auf einer juristisch soliden Grundlage.
Moskau/Straßburg - Acht Jahre nach der Verurteilung des regierungskritischen Unternehmers Michail Chodorkowski hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Russland wegen eines unfairen Verfahrens gerügt. Die Straßburger Richter verurteilten die Behörden am Donnerstag zur Zahlung von 10.000 Euro Schadenersatz an den einst reichsten Russen. Chodorkowski und sein früherer Geschäftspartner Platon Lebedew unterlagen aber in einem wichtigen Punkt: Beweise für politisch motivierte Verfahren sahen die Richter erneut nicht.
Dem Urteil zufolge stand der Prozess auf einer juristisch soliden Grundlage. Kritiker hatten immer von einem politisch motivierten Verfahren gesprochen, weil Chodorkowski bis zu seiner Verhaftung einer der wichtigsten Kritiker von Präsident Wladimir Putin war. Der Prozess im Jahr 2005 sei aber „unfair“ gewesen, weil die Vertraulichkeit des Verhältnisses zwischen Anwälten und Mandanten verletzt worden sei. Auch beim Sammeln und Auswerten von Beweisen habe es Unzulänglichkeiten gegeben.
Die Straßburger Richter warfen Russland mehrere Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vor. Den Vorwurf, die Moskauer Richterin sei befangen gewesen, wies das Straßburger Gericht dagegen als nicht ausreichend begründet zurück. Auch wurde der Vorwurf zurückgewiesen, die Angeklagten hätten nicht ausreichend Zeit gehabt, ihre Verteidigung vorzubereiten.
Die Unterbringung der beiden Verurteilten in Straflagern in Sibirien und im hohen Norden Russlands bezeichneten die Straßburger Richter als „nicht gerechtfertigt“. Es liege ein Verstoß gegen das Recht auf Privat- und Familienleben vor, weil die Familien die Inhaftierten nicht hätten besuchen können.
Chodorkowski und Lebedew waren 2005 wegen Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt worden. In einem weiteren Prozess wegen Betrugs wurden der Ex-Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos und sein Geschäftspartner Ende 2010 noch einmal zu sechs Jahren Haft verurteilt. Damit wären sie erst 2016 auf freien Fuß gekommen. Ende 2012 verringerte ein Moskauer Gericht das Strafmaß für Chodorkowski und Lebedew um zwei Jahre, sie müssten damit im kommenden Jahr freigelassen werden. Kritiker sehen die Prozesse als politisch motiviert.
Das Straßburger Gericht, das sich mit dem Verfahren 2005 und der davor liegenden Strafverfolgung befasste, sah für den Vorwurf eines politischen Prozesses aber nicht genügend Beweise. Es gebe zwar „Anzeichen“ dafür, dass das Vorgehen gegen Chodorkowski und Lebedew politisch motiviert gewesen sei. Für eine Verurteilung Russlands wären allerdings „sehr exakte“ Beweise notwendig gewesen, diese lägen aber nicht vor. Bereits 2011 hatte der Gerichtshof Russland im Fall Chodorkowski verurteilt. Beweise für ein politisch motiviertes Verfahren sah das Gericht damals ebenfalls nicht.
Die Straßburger Richter verurteilten Russland am Donnerstag dazu, Chodorkowski 10.000 Euro Entschädigung zu zahlen. Schadenersatzforderungen Lebedews wurden dagegen zurückgewiesen. Das Urteil ist noch nicht endgültig, innerhalb von drei Monaten können die Konfliktparteien den Richterspruch anfechten.
Russland nahm das Urteil „mit Genugtuung“ auf. Die Richter hätten den international kritisierten Prozess nicht als politisch motiviert anerkannt, betonte der russische Vertreter beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Andrej Fjodorow, in einer ersten Stellungnahme.
Menschenrechtler in Moskau reagierten hingegen entsetzt. Chodorkowskis Anwälte forderten, den Fall neu aufzurollen. Das Gericht habe mehrere Rechtsverletzungen in dem Verfahren von 2005 wegen Steuerhinterziehung, Veruntreuung und Betrugs anerkannt.
Chodorkowski ist einer der bekanntesten Häftlinge Russlands. Er unterstützte in den Anfangsjahren der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins (2000-2008) offen die Opposition gegen den Kreml-Chef und vertrat eigene Interessen im Energiesektor, die denen staatlicher Unternehmen zuwider liefen. (APA/AFP/dpa/Reuters)