Unklarer Kampf um Öl und Sex
„Pimp my Gegenwart“: Frank Castorfs neuer „Ring des Nibelungen“ begann am Freitag in Bayreuth durchwachsen an der Route 66.
Von Jörn Florian Fuchs
Bayreuth –Derzeit ist in unseren Breiten ja viel die Rede vom Wetter. Es fallen Begriffe wie „Gluthölle“, „Jahrhundertsommer“ – und wenn es so weiter geht, dann fällt bald die 40-Grad-Marke. Das Bayreuther Festspielhaus wiederum ist berüchtigt dafür, die Außentemperaturen mit nur geringen Abstrichen auch drinnen abzubilden. Einfacher gesagt: Eine wirklich funktionierende Klimaanlage ist Fehlanzeige. Dummerweise dreht sich in Frank Castorfs Inszenierung alles auch noch ums Öl, jenen bekanntlich hitzigen, unerlässlichen Schmierstoff für unseren hochtechnisierten Kapitalismus. Beim Rheingold taucht die schwarze Substanz etwa auf dem Gesicht Mimes auf, mit wirren Haaren und verschmiertem Antlitz tritt uns der Halbbruder Alberichs entgegen. Die beiden leben in einem Campinganhänger, der mit Pritschen und Stahlketten ausgestattet ist. Vermutlich unterhalten sie eine sadomasochistische Beziehung.
Gott Wotan und seine ‚Familie‘ haben offenbar eine Tankstelle mit angehängtem Motel gepachtet, und zwar an der amerikanischen Kultautobahn Route 66. Ein Schild weist auf Gratis-Internet hin, dafür ist die Einrichtung ziemlich retro. Ein schwarzer, blank polierter Mercedes aus den 60er Jahren taucht auf – und schon hier bleibt unklar, ob Castorf das Ganze in guter alter Zeit spielen lassen will oder ob sich ins Hier und Heute einfach ein paar Kultobjekte verirren – „Pimp my Gegenwart“ sozusagen.
Die Rheintöchter hängen zunächst brav Slips und Tangas auf eine Wäschespinne, sonnen sich hernach an einem Pool und verlachen den aufgeschwommenen Alberich im Unterhemd, der ihnen äußerst gern näherkommen möchte. Aus Frust schnappt er sich ein knisterndes, goldenes Gewand, das offenkundig im Pool herumlag, danach trägt es Mime, irgendwann verschwindet es. Später gibt es sowohl einen Ring als auch Goldbarren, wie beides entstanden ist, wer weiß. Auch sonst ist einiges sehr unklar. Wotan und sein Berater, der Feuergott Loge, machen sich ja auf den Weg zu Alberich und Mime, um den Ring zurückzugewinnen. Sowohl Alberich wie Mime sind aber von Anfang an gefangen, nämlich an einen Laternenpfahl gebunden. Warum? Die vor dem Ring warnende Erda kommt als Diva im Glitzerlook daher, Wotan begrabscht sie sofort, einige Zeit vorher lag er noch mit Gattin Fricka sowie deren Schwester Freia im Lotterbett.
Wirklich klar ist eigentlich nur, dass Castorf den (Macht-)Kampf verschiedener Clans zeigen will und dass alle irgendwie stark sexualisiert sind. Castorf und sein Bühnenbildner Aleksandar Denic haben die Ästhetik der Berliner Volksbühne (an der Castorf seit vielen Jahren Intendant ist) konsequent umgesetzt, hyperrealistische Bilder auf einer Drehbühne und häufige Live-Video-Einblicke halten einen gefangen. Doch (noch) hängt zu vieles in der Luft. Höchst erstaunlich jedoch, wie sich selbst gestandene Sängerpersönlichkeiten perfekt in Castorfs prollige Bildsprache einfügen.
Musikalisch war der Ring-Auftakt beim Hügel-Debütanten Kirill Petrenko in guten Händen. Der Anfang gerät zwar etwas mühselig, aber bald fangen sich Dirigent und Festspielorchester. Petrenko zeichnet klar konturierte Klangbilder, lässt wunderbare Details ertönen und kreiert einen großen dramatisch-dramaturgischen Bogen. Bei den Sängern überzeugten vor allem Martin Winklers Alberich und Nadine Weissmanns Erda. Problematisch der recht schwach timbrierte Loge von Norbert Ernst, schwierig auch Wolfgang Kochs zeitweise matter Wotan.
Noch ist vieles drin bei diesem neuen Ring. Nur eines dürfte schon klar sein. Es wird wohl weder eine Totalkatastrophe noch ein Jahrhundertwurf.