Zugunglück

Spanischer Lokführer soll früher mit Raserei geprahlt haben

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Der 52-Jährige befindet sich inzwischen in Polizeigewahrsam und soll „sehr bald“ vernommen werden. Die Hoffnung der Ermittler liegt zudem auf der Auswertung der Blackbox des Zuges, der am Mittwoch bei Santiago de Compostela entgleist ist.

Santiago de Compostela - Der Lokführer spielt eine zentrale Rolle bei der Aufklärung der Zugkatastrophe in Spanien. Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr er am Mittwochabend seinen Zug in einer Tempo-80-Zone vier Kilometer vor der Einfahrt in die Station in Santiago de Compostela mit 190 Kilometer pro Stunde ins Unglück. Zudem hoffen die Ermittler auf die Blackbox. Nach Medienberichten vom Freitag wird der aus Trümmern geborgene Datenschreiber inzwischen ausgewertet.

Mit Spannung wird auch die Vernehmung des Lokführers Francisco José Garzón erwartet. „Ich habe es vermasselt, ich möchte sterben“, soll der 52-Jährige kurz nach dem Unglück nach einem Bericht der Zeitung „El Mundo“ gesagt haben. Der Mann befindet sich seit Donnerstagabend in Polizeigewahrsam, gab Polizeichef Jaime Iglesias. Er sei noch im Krankenbett unter dem dem Vorwurf der Fahrlässigkeit festgenommen worden. Er werde „einer Straftat in Zusammenhang mit dem Unglück“ verdächtigt und solle bald als Beschuldigter vor dem Ermittlungsrichter aussagen. Der 52-Jährige war beim Unfall leicht verletzt worden.

Die Regional-Zeitung „La Voz de Galicia“ berichtete unter Berufung auf Ermittler, der Zug sei Mittwochabend wenige Kilometer vor der Einfahrt in die Station von Santiago de Compostela im Tempo-80-Bereich mit 190 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen. Nach anderen Berichten hat der Lokführer diese überhöhte Geschwindigkeit eingeräumt.

Lokführer soll schon mit Raserei geprahlt haben

Medienberichten zufolge soll der Lokführer auf Facebook in der Vergangenheit mit seinem hohen Tempo geprahlt haben. Angeblich soll er einmal das Foto einer Zug-Tachometers auf seinem Profil gepostet haben. Die Nadel habe auf 200 gestanden, berichteten spanische Zeitungen am Freitag. Sein Kommentar zum Bild sei gewesen: „Ich bin am Anschlag, ich kann nicht schneller fahren, sonst kriege ich eine Strafe.“ Die Facebookseite des 52-Jährigen wurde mittlerweile gesperrt.

Es soll nicht das einzige Mal gewesen sein, dass sich der Mann im Online-Netzwerk über seine Leidenschaft für hohes Tempo geäußert haben soll. „Was für ein Spaß das wäre, sich ein Rennen mit der Guardia Civil (Polizei) zu liefern und sie zu überholen, so dass ihr Radar in die Luft gehen würde, haha. Was für eine Riesenstrafe für (die staatliche Eisenbahngesellschaft) Renfe“, habe er laut spanischen Medien einmal auf seiner Facebook-Seite geschrieben.

32 Verletzte noch in kritischem Zustand

Bei dem schwersten Eisenbahnunglück in Spanien seit mehr als 40 Jahren kamen 80 Menschen ums Leben, 178 Fahrgäste wurden verletzt. Wie die Regionalregierung von Galicien mitteilte, lagen am Freitag noch 87 Menschen in Krankenhäusern. Der Zustand von 32 Verletzten, darunter drei kleine Kinder, sei kritisch, hieß es. Bislang hätten 67 Todesopfer identifiziert werden können. Unter ihnen sind nach amtlichen Angaben fünf Ausländer: ein US-Bürger, eine Dominikanerin, eine Mexikanerin, ein Kolumbianer sowie eine Person aus Algerien. Sieben Opfer waren am Freitag noch nicht identifiziert.

Juan Carlos besuchte Verletzte

Beim Besuch von Verletzten im Hospital Clínico von Santiago äußerte Spaniens König Juan Carlos die Hoffnung, dass die Tragödie dazu beiträgt, eventuelle Probleme des spanischen Eisenbahnsystems zu lösen. „In diesem Augenblick halten alle Spanier zusammen“, sagte er.

Wie die zu hohe Geschwindigkeit zu erklären ist, mit der der Zug nach bisherigen Erkenntnissen in die Kurve vier Kilometer vor dem Bahnhof des Wallfahrtsortes einfuhr, ist weiter unklar. Die staatliche Bahngesellschaft Renfe warnte vor vorschnellen Folgerungen. Die Lokführer-Gewerkschaft Semaf nahm den Lokführer in Schutz und erklärte, das Sicherheitssystem kurz vor Santiago beim Übergang von Hochgeschwindigkeits- auf Normalstrecke sei ungeeignet. Bau- und Verkehrsministerin Ana Pastor wies dies zurück.

Alle Feierlichkeiten abgesagt

Die Katastrophe nahe der Pilgerstadt Santiago war das erste tödliche Unglück im Hochgeschwindigkeitsnetz der spanischen Bahn. Der Wallfahrtsort, der das Ziel des Jakobsweges bildet, sagte alle Feiern zu Ehren des Heiligen Jakobs am Wochenende ab. Ministerpräsident Mariano Rajoy ordnete für Spanien eine offizielle Trauer von drei Tagen an.

Der Unglückszug befand sich am Mittwoch auf der Fahrt von Madrid zur Küstenstadt Ferrol im Nordwesten des Landes. Die Waggons des Zuges wurden bei dem Unglück auseinandergerissen und sprangen aus den Schienen. Einige Wagen prallten neben den Gleisen gegen eine Betonwand und stürzten um, andere Waggons verkeilten sich ineinander. Ein Wagen flog sogar über die Begrenzungsmauer hinweg. Die Katastrophe erinnerte an das ICE-Unglück von Eschede 1998. (dpa, APA/AFP, tt.com)