Das Gefühl des Sprachverfalls trügt
Die Meinung, dass Abkürzungen und Smileys im Internet die Sprache verkommen lassen, ist falsch.
Innsbruck –Jeder hat etwas mitzuteilen. Ständig, dauernd und überall. Über WhatsApp werden stündlich 41 Millionen Mitteilungen verschickt. 100 Millionen Menschen sind weltweit bei Twitter angemeldet. Es ist, als habe die Menschheit das Schreiben neu entdeckt. Und als hätte sie dabei die genormte Schriftsprache über Bord geworfen.
Kleinschreibung, Abkürzungen und fehlende Artikel zeichnen die Unterhaltungen aus, die Dialoge sind dafür geschmückt mit grinsenden Gesichtern oder auf der Seite liegenden Gefühlsbekundungen. Ich hab dich lieb? Das schreibt man jetzt so: <3. Müssen sich Lehrer Sorgen machen?
In Brasilien hat sich eine Englischlehrerin etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Andrea Baena, die an der Red Balloon School in Sao Paolo unterrichtet, bat die Acht- bis 13-jährigen Schüler, in den Tweets ihrer Lieblingsidole nach Rechtschreibfehlern zu suchen. Wenn sie einen finden, wird er den Mitschülern vorgelesen. Anschließend wird die Schreibempfehlung von den Kindern in einem Kurztext und über den schuleigenen Twitter-Account @redballoonBR verschickt.
Nun haben manche das Gefühl, dass die Sprache durch das Internet verkommt. Doch bisher gibt es keine einzige Studie, die das beweisen würde. Die Wissenschafterin Heike Ortner vom Institut für Germanistik an der Universität Innsbruck beschäftigte sich 2011 mit dem Thema. Das Ergebnis: Ob die Online-Kommunikation negativen oder positiven Einfluss auf die Entwicklung der Sprache hat, ist nicht eindeutig festzustellen. „Wissenschaftlich fundierte Aussagen können nicht getroffen werden, da Sprache viel zu lebendig und wandelbar ist und gerade im Internet sehr viele Formen annimmt“, sagt Ortner. Außerdem seien Schüler durchaus in der Lage, die Schriftsprache im Internet und die offizielle Schulsprache zu unterscheiden.
Mängel in der Sprachkompetenz will sie aber nicht leugnen: Defizite gebe es, aber man könne nicht nur dem Internet die Schuld geben. Es lasse sich sogar ein Trend in Richtung normgerechten Schreibens beobachten. „Das ist plattformabhängig, aber oft wird mit Usern, die fehlerhaft schreiben, mitunter hart ins Gericht gegangen. Und sie verlieren an Glaubwürdigkeit.“ (miho)