Islamisten und Militär mobilisieren: Tag des Kräftemessens in Ägypten
Unversöhnlich stehen sich die Lager in Ägypten gegenüber. Die Gegner des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi verlangen jetzt: Die Armee soll mit den Islamisten abrechnen. In Alexandria gibt es Tote.
Von Gregor Mayer und Nehal El-Sherif, dpa
Kairo - Unablässig strömen am Freitag die Menschen zum Tahrir-Platz in Kairo. Sie folgen einem Aufruf des mächtigen Armeekommandeurs Abdel Fattah al-Sisi. In Massen möge das Volk auf die Straße gehen, um ihm ein „Mandat“ für den „Krieg gegen den Terror“ zu geben, hat er zwei Tage zuvor gesagt. Vor mehr als zwei Jahren war der Tahrir-Platz das Epizentrum der Revolution gegen den Langzeitherrscher Hosni Mubarak. Jetzt haben ihn die Gegner seines ersten und gewählten Nachfolgers besetzt - des Islamisten Mohammed Mursi. Ihn hatte die Armee am 3. Juli aus dem Amt gezwungen.
Die Stimmung ist aufgekratzt, fast aufgepeitscht. Bei Zusammenstößen der verfeindeten Gruppen in Alexandria sterben am Freitagabend zwei Menschen, zahlreiche weitere werden verletzt. In Kairo bleibt eine Eskalation der Gewalt zunächst aus. Hubschrauber der Armee kreisen in atemberaubendem Tiefflug über den Köpfen der Menschen. Begeisterter Jubel schlägt ihnen entgegen. Bilder von Al-Sisi werden verkauft und verschenkt: Al-Sisi in der sterilen Photoshop-Variante aus der Generalstabspressestelle, Al-Sisi mit schwarzer Sonnenbrille, wie er sie zuletzt in der Militärakademie trug, als er das Volk auf die Straße rief.
Mursi und seine Muslimbruderschaft haben ein Jahr lang regiert, eher chaotisch und ohne vorweisbare Erfolge. Für die Demonstranten hier sind sie an allen Übeln schuld, die das Land plagen, auch an denen, die in einem Jahr schwerlich zu beseitigen sind. „Mursi ist eine Schande, das war das schwärzeste Jahr unserer Geschichte“, behauptet der 24-jährige Mohammed Rifai, ein Sicherheitsmann aus der Hotel-Branche im Nildelta. „Ich möchte Al-Sisi sagen: Bekämpfe den Terrorismus, wir unterstützen dich.“
Die „Terroristen“ sind hier die Muslimbrüder. Die Organisation hatte in ihren Anfängen vor 85 Jahren tatsächlich mit terroristischen Methoden gearbeitet, diesen aber vor vielen Jahrzehnten abgeschworen. Allerdings fiel Mursi in seiner Amtszeit durch unglückliche Gesten zugunsten verurteilter islamistischer Ex-Terroristen auf. Jetzt nutzen das die Propagandisten der Armee und die von ihnen mit Informationen „gefütterten“ Massenmedien aus, um die Muslimbruderschaft und den Terror in einen Topf zu werfen.
„Al-Sisi war den Menschen bisher egal, aber seitdem er dem Terror den Krieg erklärt hat, lieben sie ihn“, sagt der 27-jährige Kunststudent Jussif Magdi Hussein. „Sie erwarten von ihm, dass er die restlichen Führer der Bruderschaft ins Gefängnis steckt und die Organisation fertigmacht.“
Einige Führer der Muslimbruderschaft wurden bereits nach dem Umsturz verhaftet. Gegen andere, wie Mohammed Badia, den Chef der Organisation, liegen Haftbefehle vor. Die Gesuchten halten sich mit den Dauerdemonstranten unter den Mursi-Anhängern bei einer Moschee in der Vorstadt Nasr City auf. Zugriff auf sie werden die Behörden erst dann haben, wenn sie die Kundgebung gewaltsam räumen.
Denn von selbst werden die dort Versammelten nicht weichen. „Sie haben uns alles gestohlen, die Revolution (von 2011), die Wahlen“, ereifert sich der Mursi-Anhänger Mohammed Saki. „Und jetzt will Al-Sisi, dass Ägypter ihre Waffen auf Ägypter richten. Schande über ihn!“