Von der Dorfkapelle zu Deep Purple
Lois und Franziska Weinberger über eine Kindheit am Land und eine im Museum, die Feldarbeit im internationalen Kunstbetrieb und in einer aufgelassenen Spiegelfabrik, Ausbrüche und aggressive Studenten.
Herr Weinberger, den Stamser Bauernhof, auf dem Sie aufgewachsen sind, betreibt heute Ihr Bruder. War die Landwirtschaft für Sie selbst jemals eine Option?
Lois Weinberger: Nein. Am Bauernhof gibt es ja bestimmte Regeln, wonach der Älteste Bauer wird. Daran habe ich also gar nie gedacht. Dadurch hatte ich auch die Möglichkeit, mich auf andere Dinge zu konzentrieren, zu sehen und zu beobachten.
Ihr Vater hat sich, wie Sie einmal erzählt haben, auch abseits der Landwirtschaft sehr für Pflanzen interessiert.
L. Weinberger: Mein Vater hat irgendwie auch außerhalb dieser harten Arbeit am Bauernhof immer noch Zeit und Muße gefunden, sich für – wie er es genannt hat – ‚schöne Dinge‘ zu interessieren. Zum Beispiel hat er ein Herbar angelegt über Pflanzen, die für ihn von Interesse waren. Auf der einen Seite war da also diese Härte, der Überlebenskampf im Alltag und auf der anderen Seite der Versuch, sich mit der schönen Seite dieses Berufs auseinanderzusetzen. Ein typisches Bild für mich ist, wie er im Alter im Sonntagsgewand, also in weißem Hemd und dunkler Hose, auf dem Feld gestanden ist und geschaut hat. Das ist ein Bild, das vom Vater geblieben ist.
Frau Weinberger, Sie sind als Tochter des Malers Franz Lettner in einem völlig anderen Umfeld aufgewachsen.
Franziska Weinberger: Mein Vater war im Landesmuseum tätig. Da, wo jetzt die Kunstpause ist, hat sich unsere Dienstwohnung befunden. Wir haben damals die Wäsche durch das ganze Museum aufgehängt, bis hinauf in den Dachboden und oben ist die Wäscheleine über den Sarkophagen gespannt gewesen. Das ist halt alles noch als Lager benutzt worden. Es war schon sehr prägend für mich, im Museum aufzuwachsen.
Wie haben Sie beide sich kennen gelernt?
F. Weinberger: Ich habe Kunstgeschichte studiert, einige Jahre in Griechenland gelebt, bin dann zurückgekommen und habe bei Ursula Krinzinger in der Galerie angefangen – im Forum für aktuelle Kunst. In dem Zusammenhang habe ich den Lois kennen gelernt, war bei ihm am Bauernhof, wir haben gemeinsam Arbeiten für die Ausstellung ausgesucht. Das hat mich sehr fasziniert: rechts der Kuhstall und auf der anderen Seite jemand, der sich mit Roland Barthes beschäftigt, mit Gramsci, diesem ganzen Umfeld, das damals für uns so wichtig war. Das war Anfang der 80er Jahre. Und ’88 sind wir gemeinsam nach Wien übersiedelt.
Die allererste Ausstellung hat aber August Stimpfl organisiert.
Lois Weinberger: Ich habe mich damals mit bäuerlichen Riten auseinandergesetzt, Bestandsaufnahmen vom Dorf in den 70er Jahren. Dem Gustl hat das sehr gefallen. Er hat gesagt: Ich mache mit dir eine Ausstellung. Das war in der Stadtturmgalerie Ende der 70er Jahre. Da hat’s den Theo Braunegger gegeben und der hat gesagt, die Ursula Krinzinger soll sich das anschauen. Da war der Harald Szeemann gerade da. Gleich darauf hatte ich in der Galerie nächst St. Stephan eine Ausstellung, dann bei der Krinzinger und dann beim Szeemann.
Was hat Sie zum Künstler werden lassen? Berufung?
L. Weinberger: Ich war ein außerordentlich guter Zeichner in der Volksschule, wurde auch in andere Klassen gerufen, wenn sie zum Beispiel einen Hirsch oder einen Vogel gebraucht haben. Und ich war ein guter Beobachter. Dadurch, glaube ich, ist das in mir gereift, dass ich noch weiter will. Obwohl ich das Künstlerwerden nie im Kopf geführt habe. Das ist viel später gekommen. In den 70er Jahren, da war ich noch Stahlbauschlosser, habe ich einen neuen Hasenstall gebraucht und den einfach selber gemacht. Der hatte eine leicht chinesische Dachform und ich habe ihn ‚chinesisches Haus für zwei Hasen‘ genannt. Aber auch das außerhalb jeden künstlerischen Wollens. Heute steht er im Museum moderner Kunst, das ihn angekauft hat. 30 Jahre später, aber immerhin. So bin ich irgendwie hineingeschlittert.
Aber ich wollte schon ausbrechen aus tradierten Dingen. Ich war über zehn Jahre lang bei der Dorfmusik. Irgendwann habe ich diese Ordnung, das Marschieren, diese ganzen monarchistisch-militärischen Bewegungen nicht mehr ausgehalten. Mich haben dann andere Dinge interessiert, natürlich die Vorgänge 1968, Soul, Otis Redding, Deep Purple. Am Schluss habe ich mich richtiggehend geschämt, wenn ich bei der Dorfmusik mitgegangen bin. Ich wollte meine Bewegungen, meine Schritte machen und nicht in Marschformationen gehen.
Wie hat eigentlich Ihre Familie auf Ihr künstlerisches Tun reagiert?
L. Weinberger: Ich denke, dass sie gesehen haben, dass ich das ernst nehme und da weiter will. Obwohl es ihnen schon besser gefallen hätte, wenn ich Schmied und Stahlbauschlosser geblieben wäre. Aber sie haben mir nichts in den Weg gelegt.
Aber die Akzeptanz im Dorf, die war nie da. Da gibt’s bis heute eine chronische Sperre. Ich bin früher öfter eingeladen worden, etwas zu machen: zum Kriegerdenkmal, für die Sportschule, für ein Geschenk an den Bürgermeister – das ist mir dann wegen Nichtgefallens zurückgegeben worden. Beim Kriegerdenkmal bin ich wieder ausgeladen worden. Und zuletzt, vor zwei, drei Jahren, bin ich wieder eingeladen worden, etwas für den Kreisverkehr im Dorf zu machen. Ich hatte schon eine Idee für eine Skulptur, habe mit meiner Frau abgeredet, das schenke ich ihnen, die haben eh kein Geld. Und dann bin ich draufgekommen, das ist ein Wettbewerb mit drei anderen Künstlern aus dem Dorf. Da war’s dann genug. Ich habe einen irrsinnig arroganten Brief zurückgeschrieben und gesagt, was sie mich können. Seitdem ist Ruhe und das soll auch so bleiben. Ich bin echt nicht überheblich und sie müssen die Kunst auch nicht verstehen, das verlangt ja keiner. Aber sie wollen immer mitreden: Das ist gut, das ist schlecht. Wenn einer eine Blinddarmoperation hat, redet er ja auch nicht dem Arzt drein. Ich find’s heute eher lustig und denke, das ist ihr Problem und nicht das meine.
Eine Zeit lang firmierte die Kunst unter Ihrer beider Namen, Sie wurden dann auch als Künstlerpaar bezeichnet.
Franziska Weinberger: Ein Künstlerpaar waren wir nie. Das ist etwas, das die Presse so transportiert. Der Lois hat seine Arbeit seit den 70er Jahren kontinuierlich entwickelt. Ich bin Mitte der 80er Jahre dazugestoßen. Als teilnehmende Beobachterin.
Lois Weinberger: Schon etwas mehr! Die Franziska ist für mich der wichtigste Gesprächspartner geworden. Und nicht nur Gesprächspartner, sie greift ja auch ein.
F. Weinberger: Es gibt natürlich Zusammenarbeiten. Aber es war einfach so, dass uns vorgekommen ist, es wäre schön, wenn es nicht immer heißt: der Künstler und seine Frau.
L. Weinberger: Auch um dieses Bild zu zerstören! Die Frau als meine Chefsekretärin oder Organisatorin – weil das bei uns einfach nicht stimmt. Das war mir einfach zu blöd.
Die Natur ist in Ihrer Arbeit Metapher für gesellschaftliche Fragen, für Migrationsprozesse, Randzonen etc. Dabei verstehen Sie sich als „Feldarbeiter“ im Sinne eines Beobachters und Analysten und nicht im Dienst einer Öko-Bewegung. Dazu haben Sie einmal gesagt: „Auch wenn ein Fluss im Altöl schwimmt, ist das so genannte ökologische Gleichgewicht gegeben. Aus dieser Verunreinigungsvision könnte doch neues Leben entstehen.“
L. Weinberger: Wenn man davon ausgeht, dass sich Natur als perfekte strukturelle Koppelung darstellt – und das ist nun einmal der wissenschaftliche Begriff – dann ist sie ohnehin immer intakt. Das habe ich damit gemeint. Die Natur ist intakt, die Natur kann nicht nicht intakt sein. Ob das gut ist für uns oder nicht, das ist dann die andere Frage. Aber das ist nicht mein künstlerisches Problem, sondern ein kulturelles. Wenn es um die Frage geht, ob wir das dann lösen können, vermute ich, dass unser kulturelles Potenzial nicht ausreichen wird.
Sie leben in Wien und in Ihrem Atelier in Gars am Kamp. Wie muss man sich das dort vorstellen?
L. Weinberger: Das ist eine ehemalige Spiegelfabrik, mit einem ziemlich großen Freiraum, der als Spitz in den Kamp ausläuft. Dieses Arbeitsfeld, das Gebiet, oder nennen wir es Garten, ist also mit dem Fluss nicht zu Ende. Und es ist mit Spiegelabfällen übersät.
F. Weinberger: Dadurch, dass von uns nicht viel eingegriffen wird, ist da so etwas wie ein kleines Naturschutzgebiet entstanden. Es gibt Biber, Fischotter, riesige Äskulapnattern, die in den Bäumen hängen.
Gibt es noch Pläne, nach Tirol zurückzukehren?
F. Weinberger: Schön wäre es schon, wenn man die alten Bauernhäuser sieht ...
L. Weinberger: Aber meine Frau bremst.
F. Weinberger: Wenn man in Österreich im Kunstbetrieb arbeitet, ist Wien die einzig relevante Stadt.
L. Weinberger: Aus Tirol kommen aber überdurchschnittlich viele tolle Künstler.
Die Tirol aber meistens auch verlassen.
F. Weinberger: Das ist auch notwendig, man muss dieses Risiko schon auf sich nehmen und sich diesem Betrieb stellen.
L. Weinberger: Und ich denke, dass dieses Sich-Stellen einem auch Richtungen aufzeigt.
Ihr Kunst-am-Bau-Projekt „Garten – eine poetische Feldarbeit“ bei der Innsbrucker SoWi ist 1999 unglaublich polemisch attackiert worden. Nimmt man so etwas persönlich?
L. Weinberger: Das würde ich nie zugeben. (lacht)
Aber Sie haben die Debatte intensiv verfolgt?
F. Weinberger: Das war schon erschreckend, wie aggressiv auch die Sozial- und Wirtschaftsstudenten gegen die Arbeit angegangen sind.
L. Weinberger: Oder wie die F-ler, der Federspiel oder so Leute, geschrieben haben, es wäre gescheiter, das Geld für Behindertenparkplätze auszugeben. Aber ich denke, wenn diese Arbeit nicht möglich ist, dann sind die Behindertenparkplätze auch nicht mehr möglich. Das ist doch eines!
TT-Sonntagsgespräch: Ivona Jelcic sprach mit Lois und Franziska Weinberger