Gesellschaft

Demonstrant starb bei Protesten in Tunesien, Beisetzung von Brahmi

Auslöser der Demonstrationen war der Tod des Oppositionspolitikers Mohamed Brahmi, der am Donnerstag vor seinem Haus erschossen wurde.

Tunis - In Tunesien haben bei der Beerdigung des ermordeten Oppositionspolitikers Mohamed Brahmi Zehntausende Menschen gegen die herrschenden Islamisten demonstriert. Sie forderten die Regierung am Samstag zum Rücktritt auf und machten den Chef der Regierungspartei Ennahda, Rached Ghannouchi, für das Attentat verantwortlich. Später zogen Demonstranten vor die Verfassungsgebende Versammlung in der Hauptstadt Tunis. Die Polizei ging mit Tränengas gegen sie vor.

Aufgeheizt wurde die ohnehin schon aufgeladene Stimmung von einem Bombenanschlag, der sich wenige Stunden zuvor nahe einer Polizeiwache ereignet hatte. Der Sprengsatz war in einem Polizeiauto versteckt. Opfer gab es keine. Dagegen wurde bei Protesten gegen die moderat-islamische Regierung Augenzeugen zufolge in der Stadt Gafsa ein Mensch getötet.

Der Trauerzug für Brahmi setzte sich am Morgen an dessen Wohnhaus im Vorort Ariana in Bewegung. Mitglieder seiner Familie und Anhänger Brahmis nahmen den mit einer tunesischen Flagge geschmückten Sarg auf die Schultern. Auch viele Trauernde schwenkten Fahnen. „Mit unseren Seelen und unserem Blut werden wir dich rächen, Märtyrer“, rief die Menge. Zu den Trauerfeierlichkeiten waren auch mehrere hundert Menschen aus Brahmis Geburtsort Sidi Bouzid angereist, Vertreter der Regierung nahmen hingegen nicht teil.

Die Sicherheitskräfte begleiteten den Trauer- und Protestmarsch mit einem Großaufgebot. Hunderte Soldaten und Polizisten waren an der Strecke postiert, Militärhubschrauber flogen über die Menge hinweg. Brahmi sollte neben dem Grab des im Februar ebenfalls ermordeten Oppositionspolitikers Chokri Belaid beerdigt werden.

Innenminister Lotfi Ben Jeddou zufolge wurden die beiden Politiker mit derselben Waffe erschossen. Der Minister machte eine radikale Salafistengruppe für die Attentate verantwortlich. Präsident Moncef Marzouki hat ein Staatsbegräbnis angeordnet.

Die Ermordung Brahmis am Freitag hatte im ganzen Land Demonstrationen von Anhängern und Gegnern der Regierung ausgelöst. Dabei kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen.

In Reaktion auf die Tat erklärten am späten Freitagabend 42 Abgeordnete ihren Austritt aus der verfassunggebenden Versammlung. Sie forderten die Auflösung des Gremiums, das eine neue Verfassung ausarbeiten soll, und eine neue Regierung.

In Brahmis Geburtsort Sidi Bouzid erklärten die örtlichen Würdenträger, sie hätten ein Gremium zur Selbstverwaltung aufgestellt. Die Autorität der Regierung in Tunis werde nicht länger anerkannt. Die Selbstanzündung eines Straßenhändlers in Sidi Bouzid hatte die Massenproteste ausgelöst, die im Jänner 2011 zum Sturz des langjährigen Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali geführt und den Arabischen Frühling ausgelöst hatten.

Seit dem Sturz Ben Alis haben die Spannungen zwischen Islamisten und der weltlich orientierten Opposition stetig zugenommen. Nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi in Ägypten wurden auch die Rufe in Tunesien nach Absetzung der Regierung lauter. Die Ennahda orientiert sich an Mursis Muslimbrüdern.

Die tunesische Regierung hat den Übergang nach der Herrschaft Ben Alis zwar vergleichsweise friedlich gestalten können und kleinere weltliche Parteien an der Macht beteiligt. Viele Bürger sind allerdings enttäuscht, dass es ihr nicht gelang, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Zudem wird ihr von der Opposition vorgeworfen, nicht entschieden genug gegen die radikalen Salafisten vorzugehen.

„Erhöhte Vorsicht“ bei Reise nach Tunesien

Die USA und Deutschland riefen die tunesische Regierung dazu auf, die junge Demokratie im Land zu verteidigen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel verurteilte das Attentat auf Brahmi scharf und erklärte, Regierung, Opposition und Gesellschaft des nordafrikanischen Landes müssten am demokratischen Wandel festzuhalten. Die US-Regierung forderte die tunesische Regierung auf, umfassende Ermittlungen in die Wege zu leiten, damit die Täter zügig zur Rechenschaft gezogen werden könne.

Das österreichische Außenministerium rät indes Tunesien-Reisenden zu „erhöhter Vorsicht“. „Es sei erhöhte Vorsicht anzuraten“, hieß es am Freitag auf der Homepage des Ministeriums. Eine „partielle Reisewarnung“ gilt für alle Saharagebiete. Ein „erhöhtes Sicherheitsrisiko“ bestehe im Zentrum von Tunis und anderen größeren Städten im Falle von Demonstrationen und Massenansammlungen, so das Außenministerium. (APA/Reuters/AFP/dpa)

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