Literatur

Nicht ohne den alten Teddy

Wie Dinge Menschen begleiten und prägen und was ihr Verlust auslöst: Annette Schäfer hat darüber ein kluges, unterhaltsames und wichtiges Buch geschrieben.

Von Ursula Strohal

Innsbruck –Der Teddy ohne Ohr, die Kaffeetasse, die alte Strickjacke, die Uhr des Großvaters. Jeder Mensch besitzt Dinge, die ihm teuer sind, die ihn durchs Leben begleiten. Dass Besitz nicht glücklich macht, wird den Kindern gesagt, aber die Shoppingcenter quellen über vor Menschen, auch in wirtschaftlich engen Zeiten. „Haben und Sein“ war der Titel des Buches von Erich Fromm Mitte der 1970er Jahre, das Sein und Unglück bringendes Haben trennte und damit der Überflussgesellschaft ins Herz traf. Den Kaufrausch gemildert hat das nicht. Es muss das neueste Handy, der neueste Modetrend sein, Markenprodukte spielen gerade bei Jugendlichen eine vermeintlich identitätsstiftende Rolle.

Und da setzt die Journalistin Annette Schäfer mit ihrem ebenso umfassend und wissenschaftlich recherchierten wie unterhaltsamen Buch an. In ihrer Titelfrage „Wir sind, was wir haben. Die tiefere Bedeutung der Dinge für unser Leben“ ist schon enthalten, was sie in Kapiteln aufarbeitet: dass sich Dinge mit unserem Selbst verbinden, dass es vom Baby bis zum alten Menschen in der Tatsache der Dingbeziehung keinen Unterschied­ gibt, dass auch lieb gewonnene Dinge zu Trennungsproblemen führen und vieles andere mehr.

Schäfer setzt sich, garniert mit Beispielen aus dem Leben, mit der tieferen Bedeutung von Dingen für unser Leben auseinander und gibt einen spannenden Überblick über die wichtigsten psychologischen Arbeiten zu dem faszinierenden Thema, sie fächert auf, was Dinge über ihre Besitzer verraten und welche Dinge für Frauen, welche für Männer wichtig sind. Gleich an den Anfang setzt sie das markante Kapitel „Alles weg und andere Katastrophen“.

Was geht in Menschen vor, die ihren Besitz durch Naturkatastrophen oder Diebstahl verloren haben? „Sicherlich ist materieller Verlust nicht mit dem Trauma zu vergleichen, das Menschen erleiden können, wenn sie in Lebensgefahr geraten oder eine geliebte Person unerwartet stirbt. Doch lieb gewonnene Sachen zu verlieren, kann eine äußerst schmerzliche Erfahrung sein und zu einer ernsthaften Sinn- und Identitätskrise führen.“ In unseren Breiten sind es Überschwemmungen, zunehmend „Jahrhundertfluten“, Lawinen, Erdrutsche, Felsstürze, Brände, und Diebstähle, seltener Stürme und Erdbeben, die Tausenden Menschen Heim und Besitz nehmen. Die nur teilweise Betroffenen ändern ihre Einstellung zu Besitz zum Teil erheblich, bei den obdachlos Gewordenen stellen sich häufig quälender Zorn, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen ein. Sie fühlen sich auch von den Teilbetroffenen unverstanden.

Mit den Besitztümern gehen tägliche Routinen und der Lebensstil verloren. Da geht es um das Sofa, auf dem allein der Mittagsschlaf gelang, um das ledergebundene Buch mit den alltäglichen Notizen, selbst um den Lieblingsstift. Nach der Katastrophe: „Die verlorenen Sache standen auch für die eigene Lebensgeschichte. Da waren Fotos, Tagebücher, Briefe und Souvenirs, die an wichtige Ereignisse und frühere Phasen des Lebens erinnerten. Die Opfer hatten das Gefühl, dass ihnen durch den Verlust dieser Dinge auch die eigene Vergangenheit abhandengekommen war. Es war ein tiefes Gefühl der Leere, unter dem die Opfer litten. Der Verlust, das Nichtmehrvorhandensein ihrer Sachen ließ sie einsam und wurzellos werden. Es ging nicht um die Dinge an sich, um ihren praktischen Nutzen oder finanziellen Wert. Die verlorenen Dinge waren Symbole für das bisherige Leben, und es war das Fehlen dieser Symbole, das ihnen am meisten zu schaffen machte.“

Eine Kulturgeschichte und Psychologie des Besitzes. Ein hochinteressantes Buch, das uns Verständnis und Empathie lehrt, das gelesen werden muss, um besser zu verstehen. Im Alltag und gerade nach Katastrophen.

Annette Schäfer. Wir sind, was wir haben. Die tiefere Bedeutung der Dinge für unser Leben. Deutsche Verlagsanstalt DVA, 255 Seiten, 20,60 Euro.