Literatur

Kleine Wunder im Unterholz

Das Ende einer Versuchsreihe: Peter Handkes spielerische Spiegelgeschichte über einen Narren, der gern in die Pilze geht.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Der Film „Cheyenne Autumn“ war John Fords Abschied vom Western-Genre. Und ein Versuch, sich bei den amerikanischen Ureinwohnern zu entschuldigen. Er habe die Indianer missbraucht, sagte Ford damals und wollte symbolisch Abbitte leisten, ihnen ein Denkmal setzen. Die „Schwarzen Falken“, die mordend durchs Monument Valley marodierten, sollten der Vergangenheit angehören. In einigen Szenen des Films ist James Stewart zu sehen. Und auch diese Momente sind von einer Ahnung des Abschieds durchsetzt. Stewart spielt den alt gewordenen Wyatt Earp. Eine mythische Figur des Westens, die sich ein letztes Mal auf den Weg macht.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Peter Handkes neues Buch – der von ihm selbst angekündigte Schlusspunkt seiner „Versuche“ – mit einer Erinnerung an John Fords letzten Western beginnt. Zum einen – natürlich – weil Ford im Werk Handkes schon seit Jahrzehnten eine herausragende Rolle spielt (man denke nur an den „Kurzen Brief zum langen Abschied“). Zum anderen, weil Handke in seinem „Versuch über den Pilznarren“ etwas ganz Ähnliches macht, wie John Ford in „Cheyenne Autumn“: Er setzt sich der eigenen Vergangenheit aus, stellt das, was war und das, was hätte sein können, in Frage.

Der titelgebende Pilznarr, Handke führt ihn als Jugendfreund aus seinem Heimatdorf ein, erscheint als Alter Ego des Autors, ein Doppelgänger oder – genauer gesagt – eine Spiegelung. Wie Handke hat er Jura studiert. Doch der Pilznarr ist Jurist geworden. Staranwalt, sogar. Einer, der bei großen Kriegsverbrechertribunalen die Angeklagten verteidigt. Wie Handke feierte er – wohl auch im Dezember letzten Jahres – einen runden Geburtstag. Und dass Pilze im Leben und Schreiben Handkes unter anderem als Symbol für märchenhafte Verwandlungen und wundersame Epiphanien im Unterholz bedeutsam sind, hat er selbst immer wieder unterstrichen. An manchen Stellen des neuen Buches lässt Handke seinen Protagonisten mit seinem Freund, dem Schriftsteller Peter Handke, ins Gespräch kommen. Und hier geschieht das gänzlich Unerwartete: Peter Handke, der große Grenzgänger, der mürrische Eigenbrötler, der Prophet der Innerlichkeit, erlaubt sich Selbstironie. Er spielt. Nicht nur mit Versatzstücken seines bisherigen Werkes, sondern auch mit Elementen des von ihm in der Öffentlichkeit vermittelten Autorenbildes. Er solle jetzt nicht ins „Psalmodieren“ kommen, rät der Pilznarr dem ebenso pilznärrischen Dichter.

Diese selbstironische Wende im Schreiben deutet sich bereits sehr früh in diesem „Versuch über den Pilznarren“ an. Schon am Anfang, da bereitet sich der Autor noch auf das Niederschreiben dieser „Geschichte für sich“ – so der Untertitel – vor, kommt ihm der Titel eines alten Films in den Sinn. Der ist zwar nicht von John Ford, sondern von Bernardo Bertolucci, und heißt „Die Tragödie eines lächerlichen Mannes“.

Peter Handke. Versuch über den Pilznarren. Suhrkamp, 216 Seiten, 19,50 Euro.