Keine Hotpants, aber auch kein Schleier
Die Osttirolerin Lisi Steurer erzählt im TT-Interview vom ihren Berg- und Kletterreisen in islamischen Ländern, von Gastfreundschaft, Toleranz und warum Bergsteigen nicht zum Cluburlaub verkommen darf.
Lienz, Matrei – Lisi Steurer ist in Bergsteiger- und Kletterkreisen keine Unbekannte. Sie lebt in Lienz und gründete 2005 die Alpinschule „Bergstatt“ und bietet geführte Touren in den Lienzer Dolomiten, auf den Großglockner und andere Ziele an. Auch Kinderklettern steht auf dem Programm. Steurer holte sich Stockerlplätze bei den Österreichischen Meisterschaften im Eisklettern und beim Ice Climbing World Cup. Sie besitzt einen Master-Abschluss in Sport-, Kultur- und Eventmanagement.
Zwischen 2011 und 2013 unternahm die 34-Jährige Kletterreisen in islamische Länder. 2011 war sie in Jordanien, 2012 in Pakistan und 2013 in Marokko. Von dort nahm Steurer nicht nur Bergerlebnisse, sondern auch tiefe kulturelle Einblicke mit. Darüber berichtet sie heute Abend in einem Vortrag.
Tiroler Tageszeitung: Der Titel Ihres Vortrages lautet: „Islam stott daham“, eine deutliche Anspielung auf einen Werbeslogan einer Rechtspartei. Warum?
Lisi Steurer: Ich habe mich damit bewusst politisch links positioniert. Der Rechtsruck bei vielen Wahlen in Europa hat mich schockiert, deshalb habe ich den Slogan von rechts nach links gedreht.
Im Vortrag geht es um Ihre Berg- und Kletterreisen. Inwiefern hat das mit dem Islam etwas zu tun?
Steurer: Bergerlebnisse, so wie ich sie verstehe, dürfen nicht wie ein Cluburlaub sein – nach dem Motto: „Ich fahre in einer isolierten Reisegruppe hin, besteige den Gipfel und prahle dann zu Hause mit meinen Fotos, wie toll ich bin.“ Das ist für mich Show-alpinismus. Wenn ich wirklich in diesen Ländern Bergsteigen gehen will, muss ich mich auch mit der dortigen Kultur auseinandersetzen. Wir sollten uns die Frage nach unserer sozialen Verantwortung dort unten stellen.
In Ihrem Fall war die dortige Kultur die islamische. Wie viel Kontakt haben Sie zu Einheimischen gehabt?
Steurer: In Pakistan war ich zuerst mit drei Bergführern aus Frankreich unterwegs, und wir haben abseits aller berühmten Gipfel einen etwa 6200 Meter hohen Berg bestiegen, da war rundherum kein Mensch. Das war wunderschön. Dann musste ich aber allein zurück nach Islamabad, weil meine Freunde andere Pläne hatten. Drei Tage war ich allein unterwegs und habe dabei viel von Land und Leuten gesehen.
Muss man sich als Frau allein dort nicht fürchten?
Steurer: Natürlich gibt es dort Gefahren. Aber es ist keineswegs so, dass hinter jedem Busch ein Attentäter lauert. Es herrscht Gastfreundschaft, ich wurde oft eingeladen, obwohl die Leute dort selbst wenig haben. Alle helfen einander, es geht sehr sozial zu.
Wie sehr mussten Sie sich an islamische Gepflogenheiten anpassen?
Steurer: Ich bin dort natürlich nicht in Hotpants durchs Dorf gelaufen. Aber es hat auch nie jemand von mir verlangt, einen Schleier zu tragen. Man fällt als Ausländerin auf, aber man muss sich nicht vermummen. Ich denke, dass ich als Frau keine anderen Erfahrungen gemacht habe als ein Mann. Natürlich ist es so, dass die dortigen Frauen in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung treten, das muss man akzeptieren. Mir hat dort niemand Vorschriften gemacht. Deshalb leuchtet mir ein, dass die Leute, wenn sie zu uns kommen, schwer verstehen können, dass wir ihnen etwas vorschreiben.
Sprechen Sie damit den Kopftuchstreit an?
Steurer: Ja. Das ist für mich völlig überflüssig. Natürlich will ich nichts romantisieren. Ich stehe dem radikalen Islam sehr kritisch gegenüber. Wenn jemand in ein anderes Land zieht, soll er sich dort auch nicht kulturell isolieren. Aber mein kritischer Blick richtet sich auch auf unsere Haltung in Europa, etwa gegenüber Flüchtlingen. Wir fahren zwar gerne in arabische Länder in den Ferienclub und zum Kamelreiten. Aber wenn diese Leute dann als Flüchtlinge zu uns kommen, dann wollen wir sie nicht.
Welchen Bezug sehen Sie da zum Bergsteigen?
Steurer: Gerade wir Kletterer stehen für Freiheit, Offenheit und Toleranz. Deshalb reicht es für mich nicht, einen berühmten Gipfel zu besteigen und sich als Held feiern zu lassen. Mit meinem Vortrag will ich dem Islam eine Chance geben, in einem anderen Licht zu erscheinen.
Das Interview führte Catharina Oblasser