Gesundheit

Ich höre was, was du nicht hörst

400 Ursachen soll es für Tinnitus geben. Sind die Ohrgeräusche chronisch, besteht nur wenig Chance auf Heilung. Durch Gewöhnung und Verdrängung kann es aber gelingen, die störenden Töne zu kompensieren.

Von Nicole Strozzi

Innsbruck, Schwaz –Ein Rauschen, Pfeifen, Zischen oder eine Hochtonfrequenz „wie unter einer Hochspannungsleitung“ – die Art, wie Betroffene ihren Tinnitus beschreiben, könnte nicht unterschiedlicher sein.

Zehn bis 20 Prozent aller Menschen leiden an störenden Ohrengeräuschen, weiß Hannes Picker, Leiter der HNO-Abteilung des Krankenhaus Schwaz. Zwei bis drei Prozent (ca. 15.000 Tiroler) sind durch den Tinnitus dauerhaft in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. „Bei vielen Betroffenen werden die Ohrgeräusche vor allem abends aufgrund der Stille als störend empfunden. Besonders belastet sind jene Patienten, die die Geräusche ganztags wahrnehmen“, weiß Picker.

Der akute Tinnitus, der weniger als drei Monate besteht, könne laut HNO-Arzt bei den meisten Menschen sehr gut behandelt werden und verschwindet oft vollständig. Die Behandlungsmethoden seien vielfältig und individuell. „Doch bei chronischen, über Jahre bestehenden Ohrgeräuschen gibt es oft keine vollständige Heilung“, weiß Picker. Durch Gewöhnung und Verdrängung der Symptome gelinge es aber den allermeisten Betroffenen, den Tinnitus „positiv in den Hintergrund zu drängen“ und dadurch den Leidensdruck zu vermindern.

Auch Werner Pfeifer aus Innsbruck hat gelernt, seinen Tinnitus zu kompensieren. „Ich muss genau hinhören, dass ich ihn höre“, sagt der Tirol-Repräsentant des Österreichischen Schwerhörigenbunds. Pfeifer leidet seit 27 Jahren an Morbus Menière, einer schweren Erkrankung des Innenohrs, die zum Gehörverlust und Gleichgewichtsstörungen führt und von Tinnitus-Geräuschen begleitet wird. Rechts trägt Pfeifer ein Hörgerät, links ein Cochlea-Implantat „Man kann lernen, die Wahrnehmung der Geräusche zu verschieben“, sagt der Innsbrucker. Jeder müsse selbst seinen Weg finden, sei es durch Entspannungsübungen wie Qi Gong oder durch Musiktherapie. Denn psychischer und physischer Stress würden die Symptome bei den meisten Patienten zusätzlich verstärken. Besonders gut habe sich zudem die Tinnitus-Bewältigungsgruppe an der Klinik Innsbruck bewährt, erzählt der Innsbrucker. Ebenso die Ernährung könne eine Rolle spielen. „Ich kenne Tinnitus-Patienten mit einer Histamin-Intoleranz. Beim Verzehr von Käse oder Wein empfinden sie die Geräusche als besonders schlimm“, so Pfeifer.

Auch ihn habe seine Krankheit komplett aus der Bahn geworfen. Doch obwohl der ehemalige Geschäftsführer berufsunfähig ist, hat er sich nie unterkriegen lassen und will anderen Mut machen. Der Innsbrucker leitet ehrenamtlich „projectear“, ein Zentrum für Schwerhörige und Tinnitus-Betroffene in Innsbruck. Seit 2002 geht Pfeifer auch in Schulen, um Kinder und Jugendliche über Schwerhörigkeit aufzuklären. „Wir muten unseren Ohren Dinge zu, die äußerst ungesund sind“, sagt Pfeifer. Er hätte nichts gegen Musik, aber man müsse den Ohren Pausen gönnen und nicht die ganze Zeit über mit Stöpseln im Ohr Musik hören. Mit den modernen Handys seien Frequenzen bis zu 107 Dezibel möglich. Die EU-Empfehlung liege bei 85 Dezibel.

Tinnitus habe laut HNO-Arzt Picker eine Vielzahl von Ursachen: von banalen Gründen wie Ohrenschmalz, viralen und bakteriellen Infektionen bis hin zu schweren Ohrschädigungen. Für Pfeifer spielt auch Lärm eine wesentliche Rolle. „Unsere Umfragen haben ergeben, dass acht Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren irgendwann einen Tinnitus gehabt haben. Der ist zum Teil wieder verschwunden. Doch wenn man das Warnsignal überhört, kann der Tinnitus bleiben“, so Pfeifer. Standardmedikament gäbe es keines. Studien würden zeigen, dass 65 Prozent der Betroffenen vom Arzt eine Tablette erwarten. Doch das spiele sich nicht. „Nur jeder selbst kann etwas ändern.“ Infos: www.projectear.com

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Angela Dähling

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