„Vettel-Kritiker sind Ahnungslose“
Der Tiroler Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger (54) sprach mit der Tiroler Tageszeitung über das Phänomen Sebastian Vettel, den Politiker Fernando Alonso und den Genuss, nur noch Zaungast zu sein.
Herr Berger, Sebastian Vettel (GER) ist nach seinem vierten WM-Titel in Folge in aller Munde. Bastelt der Red-Bull-Pilot schon an seinem eigenen Denkmal?
Gerhard Berger: Absolut. Der Junge will noch viel mehr, diese Weltmeistertitel sind nur Zwischenschritte. Vettel will der beste Formel-1-Fahrer aller Zeiten werden und alle Rekorde brechen.
Und ist dieses ehrgeizige Ziel realistisch?
Berger: Er hat die Voraussetzungen, die Rekordmarke von Michael Schumacher (GER, Anm.) zu brechen.
Vor rund zwei Jahren haben Sie gesagt, dass jede Ära einmal zu Ende geht. Die von Red Bull und Vettel dauert nun schon vier Jahre lang, ein Ende ist nicht in Sicht.
Berger: Wenn das Team rund um Boss Didi Mateschitz in der bisherigen Konstellation so bleibt, dann könnte diese Ära auch noch viel länger andauern.
Trotz der vielen technischen Neuerungen, die in der kommenden Saison auf die Teams zukommen?
Berger: Die neue Technik spricht in meinen Augen sogar noch für Adrian Newey (Designer, Anm.). Mit den Turbomotoren hat er noch aus den 80er-Jahren Erfahrung. Das Chassis und die Teamstärke sprechen für Red Bull. Beim Motor schätze ich, dass Mercedes ganz vorne sein wird.
Apropos Mercedes – hat der deutsche Rennstall mit Motorsportchef Toto Wolff und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Niki Lauda einen Schritt nach vorne gemacht?
Berger: In der ersten Hälfte der Saison auf alle Fälle, dann sind sie etwas stehen geblieben. Noch mehr imponiert hat mir aber Lotus. Man hat ein überschaubares Budget und holt das Beste heraus. Und mit Romain Grosjean haben sie eine sehr gute Fahrer-Aktie. Der Franzose hat sich stark entwickelt, nachdem er letztes Jahr mit seinen Aussetzern nur negativ aufgefallen ist.
Bei Fernando Alonso (ESP) hingegen waren die Erfolge überschaubar.
Berger: Alonso war enttäuschend. Ich war immer ein Alonso-Fan, für mich war er der beste Fahrer im Feld. Doch heuer hat ihn Vettel überholt. Auch, weil er sich fast nur noch auf seine politischen Spielchen konzentriert hat. Der Spanier hat zu lange keinen Titel mehr gewonnen.
Ist die Zeit von Alonso abgelaufen?
Berger: Sagen wir so: Er muss in der kommenden Saison erst beweisen, dass sie nicht abgelaufen ist. Da tut es vielleicht ganz gut, wenn ihm sein neuer Teamkollege Kimi Räikkönen Gas gibt.
Ihr Ex-Team Toro Rosso tritt weiter auf der Stelle.
Berger: Leider. Es ist besser als im Vorjahr, aber es läuft nicht so, wie sich Franz (Teamchef Tost, Anm.) das vorstellt. Es geht auf und ab – die genauen Gründe kann ich als Außenstehender aber nicht nennen.
Zurück zu Vettel: Was zeichnet den derzeit besten Piloten aus?
Berger: Das sind vier Pakete: Fleiß, Disziplin, Intelligenz und Talent. Ein, zwei oder drei Pakete findest du bei einigen Piloten. Aber die Summe macht eben den Unterschied.
Sie sind mit und gegen Ausnahme-Fahrer wie Ayrton Senna (BRA) oder Schumacher gefahren. Was zeichnet diese Typen aus?
Berger: Dass sie alle vier Pakete in sich vereinen. Und zusätzlich einen Egoismus an den Tag legen, der für uns im normalen Alltag unangenehm ist, aber im Spitzensport eine riesige Stärke darstellt.
Was sagen Sie Kritikern, die davon sprechen, dass praktisch eine Putzfrau mit dem Red Bull gewinnen könnte?
Berger: Das sind doch Ahnungslose, die da reden. Es ist nicht allzu lange her, da haben wir Mark Webber den WM-Titel zugetraut. Und was hat er gewonnen? Nicht einmal ist der WM-Pokal zu ihm gewandert.
Jetzt gibt es andere Experten, die dem 26-jährigen Vettel einen Wechsel zu einem anderen Team nahelegen.
Berger: Warum sollte er das tun? Solange ihm Red Bull das beste Material zur Verfügung stellt, gibt es keinen Grund. Vor allem, wenn er der beste Rennfahrer aller Zeiten werden will.
Vettel trifft man weder bei High-Society-Partys noch auf Facebook. Wird sich das jemals ändern?
Berger: Da fehlt ihm die Veranlagung. Ich habe gerade gehört, er möchte das Land Indien besser kennenlernen. Dort, wo sich andere so schnell wie möglich vertschüssen wollen, möchte er noch bleiben. Die Bodenständigkeit zeichnet ihn aus.
Und wie sieht es mit einem Comeback von Gerhard Berger in irgendeinem Formel-1-Bereich aus?
Berger (lacht): Ich amüsiere mich als Zaungast in der Fremde und genieße das – ohne den ganzen Reisestress.
Das Gespräch führte Daniel Suckert