Deutschland-USA

„GAU des Vertrauens“: Wie ein Freund zum Feindbild wird

Die demonstrativ innigen Begrüßungen von Obama und Merkel bei Gipfelgesprächen dürften wohl Geschichte sein.
© Reuters

Die mittlerweile zum „Handygate“ hochstilisierten Abhöraktionen des US-Geheimdienstes gegen Merkel, sorgen für einen harten Knick in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland. Unstimmigkeiten gibt es aber nicht erst seit der NSA-Affäre.

Von Andreas Rinke/dpa

Berlin/Washington - Wer in Washington verstehen will, wie ernst die Krise im transatlantischen Verhältnis wirklich ist, muss nur Friedrich Merz lauschen. Der frühere CDU/CSU-Fraktionschef kämpft als Vorsitzender der wirtschaftsnahen „Atlantikbrücke“ eigentlich für die transatlantische Freundschaft. Aber am Montagmorgen sagte auch er im Deutschlandfunk unmissverständlich: „Wir müssen versuchen, so wenig wie möglich über amerikanische Server zu arbeiten.“ Merz hätte auch sagen können: Die USA, der jahrzehntelange große Verbündete und Beschützer Deutschlands im Kalten Krieg, sind kein Land mehr, dem man trauen kann. Doch wirklich überraschen kann dies nicht: Denn die Distanz zwischen beiden Hauptstädten wächst seit vielen Jahren.

Nur kommt es jetzt besonders schlimm: Laut Umfragen schlägt den USA mit Präsident Barack Obama spätestens seit dem Verdacht, das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört zu haben, ähnlich großes Misstrauen entgegen wie China oder Russland. Und es hagelt bittere Kommentare selbst der letzten Transatlantik-Fans: CSU-Chef Horst Seehofer sieht einen „eklatanten Vertrauensbruch“. Der frühere deutsche Botschafter in den USA und heutige Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, spricht von einem „GAU des Vertrauens“. Der deutschstämmige US-Historiker Fritz Stern sieht die größte bilaterale Krise seit 1945.

Deutschland hat sich emanzipiert

Die Ernüchterung über den Partner in Washington deutet sich allerdings schon seit Jahren an. Sehr kritische Phasen im bilateralen Verhältnis hat es zudem immer wieder gegeben: Man erinnere sich an die Zeit des Vietnamkriegs, die Pershing-II-Nachrüstung oder den Streit um den Irak-Krieg. Der Unterschied: Damals gab es jeweils einen Teil des politischen Lagers in Deutschland, der Washington noch verteidigt hat. Das ist seit der Handy-Affäre nicht mehr so.

Denn auch Merkel hat negative Erfahrungen gemacht. So begann die Spionage gegen sie wohl schon unter ihrem früheren Partner George W. Bush. Außenpolitisch hat sich Deutschland ohnehin auch unter ihr immer weiter von den USA emanzipiert. Schröders „Nein“ zum Irak-Krieg folgte Merkels „Nein“ zur Libyen-Intervention. Die Kanzlerin hat in den vergangenen Jahren zudem heftigen Widerstand gegen Obamas Politik des billigen Geldes geleistet. Für Irritationen in Berlin sorgte auch der jüngste G20-Gipfel in St. Petersburg. Erst nach Merkels Abreise legte Obama den EU-Partnern eine Syrien-Erklärung vor. All das sorgt trotz ihres Engagements für gute Beziehungen für einen seit langem nüchternen Blick auf Obama, hinter dessen freundlicher Fassade eben auch nur ein auf US-Interessen achtender Präsident steckt.

Harte wirtschaftliche Konkurrenz

Dazu kommt die wirtschaftliche Konkurrenz. „Das TTIP ist ein strategisches Abkommen zwischen den USA und Europa, das in seiner politischen Bedeutung im 21. Jahrhundert dem NATO-Abkommen im 20. Jahrhundert um nichts nachstehen wird“, betont Merz mit Blick auf das angestrebte transatlantische Handels- und Investitionsabkommen. Auch Merkel setzt sich dafür ein, aber vor allem, weil das Abkommen im Interesse der deutschen Wirtschaft ist. Daneben hat die Kanzlerin im Sommer zur gewünschten Aufholjagd der Europäer im IT-Bereich geblasen. So wie 1970 Airbus als europäisches Unternehmen gegründet wurde, um die US-Vorherrschaft in der Luft- und Raumfahrt zu brechen, so soll nun die Übermacht der Amerikaner im IT-Bereich zumindest begrenzt werden.

Vertrauen zerstören geht sehr schnell, Vertrauen aufbauen ist dagegen sehr mühsam.
Wolfgang Ischinger, Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz

Die USA werden also seit langem auch als Konkurrent empfunden. Zu Recht, glaubt der frühere „Guardian“-Journalist Glenn Greenwald, der viele der Dokumente des NSA-Überläufers Edward Snowden veröffentlicht hat. Er wirft der US-Regierung im ARD-Interview vor, systematisch Wirtschaftsspionage zu betreiben, um US-Firmen Vorteile zu sichern. Merz beschreibt dies mit Blick auf die Spionagevorwürfe so: „Wir sollten nicht naiv sein, das findet statt und auch in Zukunft.“

„Wer auf Freundschaft setzt, ist ein Romantiker“

In der Wirtschaft wird ohnehin seit langem vor einem romantisierenden Blick über den Atlantik gewarnt. „Wer als Politiker in Zeiten einer globalisierten Wirtschaft auf Freundschaft setzt, ist ein Romantiker“, meinte der Vorstand einer internationalen Großbank vor kurzem. „Beispiel Luftfahrt: Was glauben Sie, was für Obama wichtiger ist am Ende des Tages: Eine Freundschaft mit Frau Merkel und Herrn Hollande oder ein boomender Boeing-Konzern? Die Antwort liegt auf der Hand.“

Zumindest sind die Regierungen in Washington und Berlin sich dennoch einig, dass man sich im gemeinsamen Interesse zusammenraufen muss. Nur wie? „Vertrauen zerstören geht sehr schnell, Vertrauen aufbauen ist dagegen sehr mühsam“, meint Ischinger. „Den Preis, sich Asche aufs Haupt zu streuen, wird Obama aus Gründen der US-Innenpolitik kaum zahlen können. Wer sich nicht vor ‚seine‘ Spione stellt, schwächt sich selbst und vor allem auch Amerikas Entschlossenheit zur umfassenden Terrorabwehr.“ Deshalb werde die Bereinigung des politischen Flurschadens diesmal mühselig und langwierig sein.