Zu Fuß im Korallenmeer unterwegs
Wer dieser Tage auf der Steinplatte in Waidring unterwegs ist, kann nicht nur bunte Herbstwälder genießen, sondern auch einzigartige Felsformationen entdecken.
Von Miriam Hotter
Waidring –Ein Feuerwerk an Farben, wenn sich die Natur auf den Winter vorbereitet. „Indian Summer“ nennt sich das Naturspektakel im Südosten der USA – dort, wo sich die Laubbäume rot, orange und gelb färben. Und hier bei uns? Ganz einfach: Herbst. Besonders farbenfroh präsentiert sich die goldene Jahreszeit für Wanderer am Wieslochsteig auf der Waidringer Steinplatte – und versetzt in eine längst vergangene Zeit zurück.
Ausgangspunkt der Tour ist der Parkplatz Steinplatte, den man über die Mautstraße (8 Euro) erreicht. Von hier wandert man noch auf Asphalt leicht bergauf. An der Stallenalm vorbei zweigt der Weg dann rechts Richtung „Wieslochsteig“ (Beschilderung 8) ab. Auf Höhe der „Grünwaldalm“ unterschreitet man die Gondelbahn, die von Waidring auf die Kammerköhralm hinaufführt. Fast eben geht es weiter – immer am Fuße der Steinplatte entlang. Später wird der Weg zu einem schmalen Pfad und ist stellenweise leicht ausgesetzt, so dass Trittsicherheit und Schwindelfreiheit vorhanden sein muss.
Nun ist es nicht mehr weit zum Einstieg in den Wieslochsteig, der vom Weg zur Wemeteigenalm links abzweigt. (Rechts führt ein leichterer Weg auf das Gipfelkreuz.) Jetzt beginnt felsiges Gelände, bei dem man auch mal die Hände zu Hilfe nehmen muss. Entlang von Drahtseilen geht es dann eine Felsrinne hinauf bis auf die Hochfläche. Von dort erreicht man durch latscheneingesäumte Karmulden das Ziel.
Am Gipfel (1869 m) angekommen, eröffnet sich ein grandioser Blick auf die „Giganten“ der Alpen: auf die Großglocknergruppe, die Großvenedigergruppe, den Wilden Kaiser, das Kitzsteinhorn und ganz weit hinten den Olperer in den Zillertaler Alpen. Die klare Sicht ist der größte Vorteil des Herbstes. Richtung Norden reicht der Blick bis nach Landshut und auf den Chiemsee. Sogar das Atomkraftwerk sieht man. Im Osten ragen die Loferer Steinberge in die Höhe, links daneben die Reiter Steinberge. Und auch von oben zeigt sich der Herbst von seiner schönsten Seite.
Auf der Skipiste geht es wieder abwärts – oder rückwärts, denn die Felsen auf der linken Seite versetzen Wanderer in die Vergangenheit zurück. Der Grund: Auf den grau-weißen Blöcken sind fossile Korallen zu erkennen, die noch aus der Triaszeit stammen (vor 200 Millionen Jahren, Anm.). Sogar kleine Schneckenhäuser sind in den Steinen verewigt und zeugen von einer Zeit, in der die Steinplatte noch ein Korallenriff bildete und vom Meer überdeckt wurde. Heute stellt der Gebirgskomplex das einzige Trockenriff in Europa dar.
Florian Brandtner arbeitet in der dritten Generation auf der Steinplatte. „Wir haben schon viele fossile Tiere gefunden. In den 80er Jahren fand mein Großvater ein Schneckenhaus mit einem Durchmesser von rund 50 Zentimetern“, erzählt er. Manche dieser Fundstücke gibt es in einem Museum auf der Steinplatte zu sehen.
Wer lieber eine Portion Adrenalin möchte, kann der Aussichtsplattform, die 70 Meter über dem Abgrund schwebt, einen Besuch abstatten. Der gläserne Boden in Form einer Fächerkoralle sorgt auf jeden Fall für Gänsehaut – und lässt noch tiefer in den Herbst blicken.