Mit Hans durch die Häppchen-Hauptstadt
Ein Friese macht die besten Stadtführungen in der baskischen Metropole San Sebastián, erzählt von seiner „Invasion“, zeigt die leckersten Pinchos-Bars und geheime Kochclubs.
Von Stephan Brünjes
San Sebastián –Eine Wucht, diese Bucht! Strahlend blaues Wasser, umsäumt vom sichelförmigen Sandstrand und weißen Belle-Epoque-Wohnpalästen als Kulisse dahinter, reich verziert mit Blumendekor und verspielten Balkonen: Ja, dieser Blick vom Berg Monte Igueldo ist der schönste auf San Sebastián und auf „La Concha“, so der Name dieser Bucht: „die Muschel“.
Ihre Perle mittendrin heißt Santa Clara, eine Insel, die seit Jahren immer wieder mysteriöse Schlagzeilen macht: Friesische Eroberer hätten sie besetzt und in „Baskooge“ umbenannt, heißt es, dabei eine blau-weiße Fahne mit roten Herzchen gehisst und ein Störtebeker-Denkmal aufgestellt, friesisches Handelsrecht und regelmäßige Grünkohlessen eingeführt – alles unter der Leitung des selbsternannten Bürgermeisters Hans Harms. Dieser bärtige Hüne, ein Bilderbuchfriese, schmunzelt, angesprochen auf seine Insel-Invasion. Nur ein Gag, sagt der 60-Jährige, ausgeheckt zusammen mit baskischen Freunden.
Ob nun Baskooge oder Santa Clara, der Felsen sorgt wie ein Bucht-Pfropfen mit dafür, dass Gischt und atlantische Wellenberge sich draußen vor San Sebastián austoben. Weswegen man in „La Concha“ gerade mit Kindern wie in der Badewanne plantschen kann. „Trotz 1a-Innenstadtlage – hier am Strand ist kein Sandkorn in abgezäuntem Privatbesitz“, erklärt Hans Harms. Was die Menschen in der 183.000-Einwohner-Stadt zu schätzen wissen: Familien mit Kinderwagen, Hip-Hopper mit Sound-Stöpseln in den Ohren sowie jede Menge Baskenmützen-Träger flanieren an Spaniens schönstem Stadt-Strand. Und bewundern Ramon. Der Skulpteur formt bereits seit Stunden aus Sand ein lebensgroßes Krokodil. Gefährlich funkeln seine roten Tennisball-Augen, gefräßig scheint das Maul mit Muschelzähnen. Ein paar Schritte weiter beim kleinen Fischerhafen – ein echtes „Hai-light“: das Aquarium mit Glastunnel. Rochen segeln über die Besucher in einer künstlichen Unterwasserwelt hinweg, Fisch-Schwärme zischen durchs Mini-Korallenriff und ein Hai kreuzt bedrohlich durchs Riesenbassin. Die sehenswerte Walfänger-Ausstellung im Obergeschoß zeigt, wie solche Moby Dicks hier früher mit Harpunen zur Strecke gebracht wurden.
„Doch heute“, sagt Hans Harms, „greifen die Menschen in San Sebastián viel lieber zu kleinen Spießen aus Holz, an denen meist keine Fische, sondern äußerst lecker belegte Brothäppchen hängen, sogenannte Pinchos.“ Diese baskische Variante der spanischen Tapas steht in den gemütlichen, schachbrettartigen Altstadtgassen auf nahezu jeder Kneipentheke. Harms führt seine Gäste zunächst ins „Casa Alcalde“, lässt „Pata negra“ probieren, den hauchdünnen baskischen Schinken, und dazu ein Gläschen Txakoli, milden Weißwein dieser Gegend zur Einstimmung. Dazu ein paar Spieße mit der pikanten Paprikawurst Chorizo und dem Idiazabal-Schafskäse naschen, dann geht’s weiter bei diesem in San Sebastián sehr beliebten „Txikiteo“, einer Art „Spieß-Schnuten-Lauf“ der Fingerfood-Fans durch den städtischen Pinchos-Parcours.
Auf dem Weg zur nächsten Bar wollen die Gäste von Harms natürlich wissen, wie der Friese ausgerechnet im Baskenland strandete: Vor über 30 Jahren war es, da gondelte der Student mit einem VW Bully aus Jever nach San Sebastián, machte seinen Doktor der Philosophie und blieb als Berater für soziale Projekte hier hängen – in der seiner Meinung nach schönsten Stadt der Welt. Wie zum Beweis nimmt Harms einen kurzen Umweg über die „Plaza Constitution“, ein wunderbares, von Arkaden-Häusern umgrenztes Rechteck, das früher die Stierkampfarena war. Was man nur noch an den Nummern über den Balkons erkennen kann. „Die nämlich haben die Bewohner damals an Zuschauer als Logen vermietet“, sagt Harms. Heute ist die Plaza eine Mischung aus Open-Air-Museum, Café und Fußball-Talentschuppen: Überall kicken Jungs in der Feierabend-Dämmerung und nutzen die Arkaden als Tore.
Mit großem Hallo wird Hans Harms in der Bar „Zeruko“ begrüßt, von Marili und Joseán Calvo, den Gewinnern des Pinchos-Preises 2008. „La Hoguera“ (das Lagerfeuer) hieß ihre Kreation: Serviert wird ein umgedrehtes Cidre-Glas. Erst wenn man es lüftet, ist der Pinchos-Name klar: Darunter qualmt es, damit man den Kabeljau am Spieß räuchern kann – ganz nach eigenem Geschmack. Beinahe täglich überbieten sich die Wirte der Stadt mit der Erfindung neuer Pinchos-Varianten. Doch ob Blutwurst mit Pistazie oder Ei am Stiel – jeder muss auch den Klassiker und vermutlich ersten Pincho aus den späten vierziger Jahren auf dem Tresen haben, erklärt Hans Harms: „Gilda“ heißt dieser Peperoni-Anchovis-Oliven-Spieß, benannt nach den Kurven einer Tänzerin aus dem gleichnamigen Film mit Rita Hayworth von 1946.
Später am Abend macht Hans Harms Schluss mit dem Kleinklein der Pinchos-Häppchen. Und führt die Besucher zu seiner kulinarischen Untergrundorganisation, einem geheimen Männerkochclub. Der erste entstand vor etwa 150 Jahren, angeblich damit die Männer mal ihren Frauen entfliehen konnten. „Aitzaki“ – die Ausrede – heißt Harms‘ Club passenderweise, einer von insgesamt 120 in San Sebastián. Ein paar Schritte neben der verwitterten Barockkirche Santa Maria geht’s wenige Treppenstufen hoch in die geräumige Wohnküche eines unscheinbaren Hauses. Wer hier reinschauen will, muss von einem Clubmitglied wie Hans Harms eingeführt werden. Mehr als 100 Mitglieder hat der Kochclub, Fischer und Bauern, Beamte oder Kleinunternehmer. Gerade mal 18 sind heute da, einer kocht: Bauchlappen vom Thunfisch auf gegrillten Pfefferschoten, pürierte Rote Beete, grüne Bohnen und Schalotten. „Alles ganz einfache Rezepte“, sagt Hans Harms, „das ist Prinzip Nummer 1 bei uns. Nummer 2: Keine Politik!“ Temperamentvoll geht’s trotzdem zu – bei Diskussionen über Fußball, baskischen Volksliedern oder auf den Tisch knallenden Spielkarten. Und ihre Frauen? „Ja, die dürfen auch kommen – einmal im Jahr. Aber nur zum Essen, nicht zum Mitkochen, schon gar nicht zum Dazwischenreden.“ „Tag der Arbeit“ nennen die Gattinnen diesen Termin mit wohlwollendem Blick auf ihre emsig schnippelnden und brutzelnden Männer.