Eigener Stil statt politischer Einheitsbrei
Die neue Nationalratsgilde wurde angelobt. Sie verspricht einen neuen Stil. Doch wie lange dauert es, bis der gleiche Politikjargon allen eigen ist?
Von Miriam Sulaiman
Innsbruck –„Nur ganz kurz möchte ich durchaus in aller Klarheit sagen, dass die Zeit es weisen wird, was in Stein gemeißelt gehört“ – das ist eine willkürliche Zusammenstellung jener bekannten Sprachfloskeln von Politikern, die nach einer Nachfrage von TT-Lesern auf Facebook einlangten. Ein Kommentator meinte überhaupt: „Was ist das Problem? Ich lausche gerne Politikern. Niemand sonst kann so lange, verschachtelte, wohlformulierte, unverbindliche und inhaltsleere Sätze absondern.“
Damit fasst er zusammen, was indirekt eine deutsche Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung unter rund 30.000 Jugendlichen ergeben hat. Für die Tirolerin Nina Arnold, die daran mitarbeitete, kann diese auf Österreich umgelegt werden. Das Ergebnis: Die Jugend nimmt die Politik aufgrund ihrer Sprache und Gestik als abgehoben wahr. „Gerade der aggressive, laute Stil in Talkshows wurde kritisiert.“ Die Jugendlichen würden das mit ihren Erlebnissen in der Schule vergleichen. „Wenn sie nicht aufpassen und dann laut werden, erhalten sie vom Lehrer eine Strafe“, erzählt Arnold. Die Politikrhetorik habe sich ihrer Ansicht nach seit der Studie 2011 im negativen Sinne weiterentwickelt.
Der Grund für diese Sprache liegt für Politikwissenschafter Peter Filzmaier auf der Hand: „Von Politikern wird immer eine Antwort erwartet. Das Eingeständnis, etwas nicht zu wissen, gilt fälschlicherweise als Fehler. Also flüchtet man sich in eine spezielle Politiksprache.“ Er sieht es auch als eine Eigendynamik an, die man nicht mehr in den Griff bekommt.
Als Gegenmittel verweist Filzmaier auf eine Studie der Berliner Hochschule für Komunikation und Design, die Politikern banal empfiehlt, Fremdwörter durch einfache Begriffe zu ersetzen, beschönigende Kunstausdrücke gegen Fakten auszuwechseln oder kurze Sätze ohne Verschachtelungen zu bilden: „Das klingt ähnlich wie die Tipps für Schulreferate. Statt übertriebener Medientrainings brauchen manche Politiker zunächst einen sprachlichen Grundkurs zum Wiedererlernen einer natürlichen Ausdrucksweise.“
Rhetoriktrainer der politischen Akademien selbst erklären, dass sie ihren Schützlingen helfen würden, einen eigenen Stil zu entwickeln. „Sich hinter nichtssagenden Sätzen zu verstecken, ist zwar bequem und teilweise auch zumeist eine sichere Angelegenheit, über kurz oder lang jedoch weder medial effektiv noch demokratiefreundlich“, meint Simon Varga.
Sein Kollege Christian Kraxner findet, dass „ausgeleierte Phrasen, Einheitsparolen und Ausweichorgien keinen Platz haben, weil sie das Gegenteil des Gewünschten bewirken.“ Für ihn ist die „Politiksprache“ aber ein weit verbreiteter Mythos. Da Redemuster sich bei Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Kultur ähneln würden – im Guten wie im Schlechten.
Sein Rezept: Entschlossene Antworten hätten kurz, markant und bildhaft zu sein und sollten Emotionen auslösen. Auch Varga empfiehlt präzise und kurze Antworten, um Kernbotschaften oder -themen medial transportieren zu können.
Bei einer Formulierung zuckt Filzmaier übrigens mittlerweile zusammen: „Ich sage es ganz offen!“ Nach dieser folge nämlich meistens eine Serie von Halbwahrheiten.
Politer - Deutsch/ Deutsch-Politiker
Fakten zum Liveticker
Die Talkshow-Moderatorin Maybrit Illner brachte im Langenscheidt Verlag überhaupt ein Buch heraus "Politiker-Deutsch/Deutsch-Politiker".Sie sammelte hier Wortfassaden und Sprachhülsen auf.
Was ein Politiker sagt und was er damit meint
1
Die Übersetzung der Buchautorin von so mancher Floskel:
Ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme. = Deshalb bin ich so froh, dass ich nächste Woche wieder nach Berlin darf.
Ich kenne die Sorgen und Nöte der Menschen in der Region. = Ob Gladbach und Aachen wohl den direkten Wiederaufstieg schaffen.
Ich werde mich um Ihr Anliegen persönlich kümmern. = Mein Referent verfügt über eine hervorragende Sammlung von Musterbriefen.
Der Politiker und die Talkshow
2
Illner schlägt vor, in politischen Talkshows einmal ein Phrasenschwein aufzustellen, dann würden die Münzen klingeln, wenn diese Sätze fallen:
Diese Frage stellt sich nicht = Am liebsten würde ich hier selbst die Fragen stellen.
Eigentlich reden wir hier über das falsche Thema: Wir sollten endlich über Bildungspolitik sprechen. = Wer hat mir die falsche Vorbereitung in die Mappe gelegt.
Ich lasse das jetzt mal unkommentiert. = 1000 Argumente könnte ich Ihnen nennen, dummereise fällt mir nicht ein einziges ein.
Der Politiker und die Partei
3
Auch in diesem Kapitel findet Illner Beispiele und legt Sie aus Ihrer Sicht um. Hier ein Auszug:
Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie sind. = Freiwillig kommt ja keiner mehr.
Wir haben ein Vermitttlungsproblem. = Warum versteht Ihr nicht, wie gut wir es mit euch meinen?
Um Wahlen zu gewinnen, müssen wir in die Mitte rücken. = Den Rand können wir sowieso nicht halten.