Die alten Vorurteile gegen Roma mit grausamen Auswüchsen
Die kleine Maria hat vor Augen geführt, wie tief Ressentiments und Vorurteile gegen Roma nach wie vor in ganz Europa verwurzelt sind.
Von Gabriele Starck
Innsbruck – Allein die Tatsache, dass zwei kleine Mädchen blond sind, hat zwei Roma-Familien in Griechenland und Irland in den Verdacht des Kindsraubs gebracht und die Kinder traumatisiert. Denn beide wurden ihren Eltern von den Behörden entrissen – im Fall von Maria den emotionalen, bei denen sie aufgewachsen ist. Im Fall des irischen Mädchens den leiblichen, zu denen sie erst zurückkehren durfte, als der DNA-Test ergab, dass sie sehr wohl zur Familie gehört.
„Das sind die alten Vorurteile: Roma stehlen Kinder, Hühner und die Wäsche von der Leine“, sagt Erika Thurner, Politikwissenschafterin an der Uni Innsbruck. Roma hätten vielleicht früher manchmal die Kinder der von den Bauern geschwängerten Mägde aufgenommen und großgezogen – diese wurden damals als ledige Mütter ja ebenso von der Gesellschaft ausgegrenzt wie Volksgruppen-Minderheiten noch heute. „Dazu müssen wir nicht einmal zwei Generationen zurückdenken.“ Der Mythos des Kinderraubs jedenfalls sei nichts anders als schwarze Pädagogik. „Das wurde Kindern erzählt, um sie von Roma fernzuhalten, sie abzuschrecken. Roma haben doch wirklich selber genug Kinder“, weist Thurner auf die Absurdität des Vorurteils hin.
Zudem sei das Erbgut fast der Hälfte aller Roma in Bulgarien von dem der übrigen bulgarischen Bevölkerung nicht zu unterscheiden, erzählt Thurner von wissenschaftlichen Untersuchungen der Forscherin Luba Kalydijewa. Warum sollten also Roma-Kinder nicht blond sein?
Dass sich Stereotype wie jene vom Kinder-Stehlen so lange halten können, liege auch an der fehlenden Auseinandersetzung der breiten Öffentlichkeit mit diesen Menschen und ihrer Geschichte. „Obwohl die Roma in Österreich seit 1993 als Volksgruppe anerkannt sind, weiß die Mehrheit ganz einfach nichts über sie“, beklagt Thurner. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Roma und speziell deren Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus. Thurner würde sich wünschen, dass schon in den Schulen die Aufklärung über die Volksgruppe, die schließlich ein Teil der Identität Österreichs sei, einen fixen Platz findet. Diese Roma aus Westungarn, dem heutigen Burgenland, zählen heute vielleicht noch 8000 in Österreich. „Denn nicht einmal 15 Prozent der Roma und Sinti, die schon lange vor 1938 hier lebten, haben die Verfolgung überlebt.“
Der Großteil der 15.000 bis 20.000 Roma, die hier leben, sei erst später gekommen, sagt Thurner. Und damit spricht sie eine der möglichen Ursachen an, warum alte Ressentiments wieder aufbrechen – die Flucht vieler osteuropäischer Roma in den Westen.
Die Roma seien im kommunistischen System zwangsassimiliert und in die verstaatlichte Industrie gesteckt worden, erklärt Thurner. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus im Osten gingen diese Arbeitsplätze verloren, die Roma konnte niemand mehr brauchen. Ihr fachmännisches Handwerk, das sie früher anboten, indem sie von Ort zu Ort fuhren – sei es als Schmied, Korbflechter, Messerschleifer, als Händler oder Metallbearbeiter – wurde im Zuge der Massenfertigung nicht mehr gebraucht. Die Siedlungen – teils wie Ghettos an den Stadträndern – verelendeten. Viele versuchen deshalb woanders ihr Glück. Und stoßen damit auf wenig Gegenliebe in jenen Ländern, in die sie auswandern.
In Griechenland sei die Haltung gegenüber dieser Volksgruppe traditionell negativ. „600 Polizeieinsätze gibt es jährlich in dem Lager, in dem Maria entdeckt wurde. Das ist nahezu zweimal am Tag“, gibt Thurner zu bedenken. Aber nicht nur dort sei der Umgang mit Roma nichts anderes als Apartheid, sagt sie. So gebe es in manchen Ländern eigene Zigeunerklassen, getrennte Pausenräume in den Schulen, abgetrennte Gaststuben in Raststätten. Um die soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung der Roma zu stoppen, müsse endlich die Roma-Strategie der EU umgesetzt werden. Das bedeutet kurz gesagt, ihre Grundrechte zu wahren, ihnen Bildung und Arbeit zukommen zu lassen. „Das Geld für solche Programme ist da, doch es bleibt meist in Brüssel liegen, weil die Staaten das ja kofinanzieren müssten.“
Und sie räumt gleich mit einem weiteren Vorurteil auf: „Von den so genannten Sozialtouristen, die auch in Österreich zunehmend kritisiert werden, sind 85 Prozent gar keine Roma.“