Verführer und Provokateure
Mani Haghighi erzählt in „Modest Reception“ vom Glück des Geldes im Iran.
Innsbruck –In seinem Film „Der Geschmack der Kirsche“ beobachtete der iranische Regisseur Abbas Kiarostami einen Mann in einem Geländewagen auf den staubigen Landstraßen vor Teheran auf der Suche nach einem freundlichen Menschen, der ihm bei seinem Selbstmord zur Hand gehen könnte. Ein Student zitiert die einschlägigen Suren im Koran, um den Lebensmüden von diesem letzten Schritt im Sinne des Propheten abzuhalten. Aber es ist ein alter Mann, der aus eigenem Erfahren das vielleicht entscheidende Argument liefern kann: „Willst du den Duft der Früchte für immer aufgeben? Den Geschmack der Maulbeere, der Kirsche?“ Dafür gewann Kiarostami 1997 die Goldene Palme der Filmfestspiele von Cannes. Deshalb verkaufte Kiarostami wohl ohne Bedauern 2006 seine Idee über einige Männer, die in einem Geländewagen auf den Straßen vor Teheran auf ein Hindernis stoßen und die Abgründe einer Gesellschaft als Parabel erleben.
Mani Haghighi wurde mit Kiarostamis Idee zu „Men at Work“ berühmt und in seinem 2012 im Iran gedrehten Film „Modest Reception“ (Bescheidene Begrüßung) ist er wieder in einem Geländewagen – dieses Mal in einer japanischen Luxusversion und in düsteren Winterlandschaften – unterwegs. Mit gebrochenem Arm kann Kaveh (Mani Haghighi) nur den Kurs bestimmen, dem Leyla (Taraneh Alidoosti) am Steuer immer widerwilliger folgt. Abwechselnd geben sie sich als Geschwister- oder streitendes Ehepaar aus, um die Menschen zu verwirren. Im SUV-Kofferraum liegt in Plastiksäcken ein Millionenvermögen, das verteilt werden soll. Jeder Mensch, der dem Paar unterwegs begegnet, soll mit einem Geldbeutel beschenkt werden. Misstrauische und ehrliche Menschen erkundigen sich zuerst nach der Herkunft des Vermögens, andere finden im Koran keinen Hinweis auf die Annahme einer Spende. Plötzlicher Wohlstand verführt zudem zu charakterlichen Veränderungen. In einsamen Gegenden könnten hinter jedem Hügel auch Mörder und Räuber lauern. Kaveh und Leyla verfolgen mit ihrer Großzügigkeit also nicht nur altruistische Absichten, sie sind Verführer und Provokateure, sie zerstören Familien und Beziehungen, sie filmen mit einem iPhone das Glück oder das Unglück der Beschenkten.
„Modest Reception“ wurde 2012 bei der Berlinale uraufgeführt und mit einem Nebenpreis ausgezeichnet. Im Iran stand der Film vorerst auf der so genannten schwarzen Liste, obwohl Filme ohnehin nur mit einer offiziellen Genehmigung gedreht werden dürfen. Anfang dieses Jahres kam Haghighis allegorischer Thriller in der Form einer Komödie zumindest in Teheran in die Kinos. In seinem Symbolismus ist uns „Modest Reception“ so fremd wie das Herkunftsland. Außer Leyla, die statt eines Schleiers eine Mütze trägt, treten nur Männer auf. Hubschrauber sind zu hören, aber nicht zu sehen. Einmal kauft Kaveh einem Lehrer die Leiche seines bei einem Bombenangriff getöteten Kindes ab, „eine Million für jedes Kilo Fleisch“. Nachdem der Widerstand des Trauernden gebrochen ist, kauert sich der Millionär an das gefrorene Baby. Mehr verrät Haghighi nicht über die Biografie dieses seltsamen Mannes. (p. a.)