Film und TV

Kinozukunft in den Wolken

Das zweite Viennale-Wochenende dominierten das verfolgte Kino aus dem Iran und der Rebell „Michael Kohlhaas“, den der Däne Mads Mikkelsen veredelt.

Von Peter Angerer

Wien –Das Mindeste, das sich von einem internationalen Filmfestival erwarten lässt, ist ein Blick in die nächste Kinozukunft. Durch die zeitliche Positionierung im späten Herbst können bei einem Filmfest wie der Viennale nur die Höhepunkte der anderen Festivals von Berlin über Cannes bis Venedig nachgespielt werden, dafür gilt die klare Devise: Die Kinozukunft beginnt morgen, denn die großen Filme der vergangenen Festivaltage starten bereits in wenigen Tagen oder Wochen. Woody Allens „Blue Jasmine“, Arnaud des Pallières’ „Michael Kohlhaas“ kommen wie Götz Spielmanns „Oktober November“ bereits kommendes Wochenende in die Kinos.

Was können aber 300 Filme, wie sie bei der diesjährigen Viennale noch bis zum 6. November gezeigt werden, von der unmittelbaren und uns betreffenden Zukunft erzählen? Um das Chaos wegen spät eintreffender Besucher in der Dunkelheit zu vermeiden, wird das Saallicht erst gelöscht, wenn mit vollkommener Ruhe zu rechnen ist. Diese Wartezeit lässt sich beispielsweise für notwendige Aufräum­arbeiten im Handy nutzen. Mehrere Handyapplikationen laden dazu ein, dem Benützer eine ihm unbekannte aber gefällige Musik zu identifizieren und einmal mit Titel oder Urheber vertraut gemacht, erscheint innerhalb einer Millisekunde auf dem Display das Angebot, diese Musik auch käuflich zu erwerben.

Daneben gibt es Apps, die ohne Suchauftrag freundlich fragen: „Dürfen wir auf Ihr Mikrophon zugreifen?“, das ist ein starkes Stück. Aus den Lautsprechern fordert die freundliche Stimme für ein Telekommunikationsunternehmen, das als Festivalsponsor auftritt: „Schalten Sie Ihr Handy ab!“ Nun haben wir in den letzten Tagen während des großen Lauschangriffs viel über digitale Technologie gelernt. Man muss gar nicht mehr telefonieren, um abgehört zu werden, es genügen Besitz und Mitnahme des Gerätes zur Überwachung. Es geht um die Gedanken und geheimen Wünsche, die sich in Daten verwandeln lassen und in der Cloud, in den Wolken, gespeichert werden.

Dort befinden sich aber auch alle bereits digitalisierten Filme dieser Welt. Gerade im Kino werden die tiefsten Geheimnisse enthüllt: Neigt jemand zu subversivem oder Massengeschmack? Solche Offenbarungen können entweder zu einschlägigen Angeboten oder in einem Land wie dem Iran zu Hausarrest führen. 2000 wurde Jafar Panahis unglaublicher Film „Der Kreis“ über Prostitution, Abtreibung und unter staatlichen Repressionen leidende Frauen im Iran mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnet. 2010 verurteilte ein Gericht in Teheran Panahi wegen seiner Gedanken zur Demokratiebewegung zu Hausarrest und 20 Jahren Berufsverbot. 2011 ließ er in einem Kuchen seinen Film „This is not a Film“ wie eine Feile zum Festival nach Cannes schmuggeln. Seinen neuen Film „Pardé“ drehte Panahi mit einem iPhone hinter geschlossenen Vorhängen in einem Haus mit Meerblick, und unter dem Titel „Closed Curtain“ wird der Film über Gedankenfreiheit demnächst in die Kinos kommen.

Bei Dreharbeiten mit einem Smartphone ist die technische Qualität kein Thema mehr, aber das Material ist erst einmal sicher in den Serverwolken abgelegt. Auch das ist eine mögliche Zukunft des Kinos – Film als File und Feile. Asghar Farhadi, ein anderer iranische Regisseur, ist mit seinem Scheidungsdrama „Nader und Simin“ (2011) weltberühmt geworden. Der Auslandsoscar ermöglicht ihm das Arbeiten im Exil. Sein bei der Viennale präsentierter Film „Le Passé“ (Das Vergangene) erzählt wieder eine Trennungsgeschichte. Ahmad (Ali Mosaffa) kommt von Teheran nach Paris, um sich von seiner französischen Frau Marie (Bérénice Bejo) scheiden zu lassen. Der Papierkrieg ist bald erledigt, doch Ahmad, der sich nach Teheran sehnt, muss seiner nunmehrigen Exfrau helfen, das Leben mit ihrem neuen Partner zu organisieren.

Für die Wut nach erlittener Ungerechtigkeit steht seit der Veröffentlichung von Heinrich von Kleists nüchterner Erzählung der Name „Michael Kohlhaas“. Erstaunlich selten nahmen sich Regisseure dieser wuchtigen Chronik an. Der Deutsche Volker Schlöndorff montierte seine Verfilmung 1969 mit Bildern der Studentenrevolten, Aufmerksamkeit erregte sein Film aber vor allem wegen des Glamourpaares Anita Pallenberg und Keith Richards von den Rolling Stones. Der Franzose Arnaud des Pallières wagte einen neuen Versuch und übersiedelte „Michael Kohlhaas“ nicht nur in die französischen Cevennen, er lässt auch den ganzen Kleist hinter sich. Aus Martin Luther, der Kohlhaas das selbstgerechte „Schwert der Gerechtigkeit“ entreißt und durch jenes „des Raubes und der Mordlust“ ersetzt und dennoch zum Fürsprecher des Rebellen wird, ist bei des Pallières ein namenloser Prediger geworden. Nur die beiden stolzen Rappen, die der Pferdehändler beim Baron als Pfand hinterlassen muss und als geschändete Ackergäule zurückerhält, sind geblieben.

Dieser Kohlhaas, „einer der rechtschaffensten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ bei Kleist wie bei des Pallières, hört auf, ein „guter Staatsbürger“ zu sein, als seine Forderung nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung von einer korrupt-dekadenten Justiz abgewiesen wird. Als ihm nach all dem Brandschatzen und Morden der Kopf abgeschlagen wird, bleibt vor allem das Aufeinandertreffen von Mads Mikkelsen und Bruno Ganz (als Gouverneur) in Erinnerung.

Solche Begegnungen gehören zur Zukunft des europäischen Kinos, das mit Koproduktionen Geld und Besetzungen zusammenwürfelt und manches Mal gelingt wie bei „Michael Kohlhaas“ ein Glückstreffer.