Heißer Herbst in Bangkok? Amnestiegesetz erhitzt Gemüter
Die Sorge vor einer Neuauflage von Straßendemos, wie es sie 2008 und 2010 gegeben hatte, wächst.
Von Christiane Oelrich/dpa
Bangkok - Um vier Uhr früh peitscht die thailändische Regierung das Amnestiegesetz überraschend durchs Repräsentantenhaus. Proteste der Opposition, von Menschenrechtlern und zunehmend auch eigenen Anhängern lassen sie kalt. Niemand soll mehr für Exzesse während der gewalttätigen politischen Proteste der vergangenen Jahre zur Verantwortung gezogen werden können.
„Damit entgehen Leute mit Blut an den Händen der Bestrafung“, warnt Brad Adams, Asiendirektor von Human Rights Watch. „Es ist bedenklich, wenn Menschenrechtsverletzungen immer dann unter den Tisch gekehrt werden, wenn es politisch opportun ist“, sagt Marc Saxer, Direktor des Thailandbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Was die Gemüter erhitzt: Die Amnestie schließt den „Spaltpilz“ der Nation ein, den 2006 gestürzten Premierminister Thaksin Shinawatra. Wie kein anderer hat er einen tiefen Keil in die Gesellschaft getrieben, der sich seit zehn Jahren mehrfach in politischer Gewalt auf den Straßen Bangkoks entladen hat. Kritiker nennen ihn einen Demagogen, weil er sich mit populistischen Maßnahmen die Stimmmehrheit der armen Bauern sicherte, um seine persönlichen wirtschaftlichen Interessen dann voranzubringen, indem er staatliche Aufsichtsinstitutionen mit Ja-Sagern besetzte.
Er setzte sich 2008 ins Exil ab, kurz vor der Verurteilung zu zwei Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs. Er will zurück, aber nicht ins Gefängnis. Aus Dubai, Hongkong und anderswo zieht er die Strippen der Regierung, wie Fotos von Kabinettssitzungen zeigen: Die Minister alle vor Laptops, auf denen Thaksin ihnen per Sykpe die Leviten liest. Offiziell ist seine Schwester Yingluck Ministerpräsidentin.
2008 jagte eine außerparlamentarische Thaksin-Opposition (Gelbhemden) eine Regierung von seinen Gnaden mit Massenprotesten, die in der Besetzung des Flughafens gipfelten, aus dem Amt. 2010 war das andere Lager an der Macht, und Thaksin-Anhänger (Rothemden) legten Bangkok wochenlang mit Protesten teilweise lahm. 92 Menschen kamen bei Zusammenstößen ums Leben, ehe die Armee die Proteste beendete. Seit 2011 ist Thaksins Lager wieder an der Macht.
Mit der Amnestie hat die Regierungspartei Pheu Thai nun in beiden Lagern Gegner. Die Opposition will Thaksins Rückkehr verhindern. „Thailand muss zeigen, dass es die Kultur der Straflosigkeit hinter sich gelassen hat“, sagt Oppositionsführer Abhisit Vejjajiva, obwohl er selbst profitieren würde. Er war Premierminister während der Gewaltexzesse 2010 und wurde deshalb gerade wegen Mordes angeklagt. In einem Prozess wolle er seine Unschuld beweisen, sagt er.
Auf der anderen Seite wollen sich Rothemden nicht damit abfinden, dass Abhisit davonkommen könnte. Die Opfer der Gewalt 2010 seien dann umsonst gestorben, erklärte der Historiker Somsak Jeamteerasakul auf Facebook, wie die Zeitung „Nation“ berichtete. Pheu Thai „gräbt ihr eigenes Grab“, meint der frühere Thaksin-Berater Jakrapob Penkair.
„Nichtdemokratische Tendenzen innerhalb der Regierungspartei Pheu Thai sind besorgniserregend“, sagt Saxer. Er verweist auf die Anklage gegen Abhisit, die viele für politisch motiviert halten, und Berichte über Eingriffe der Regierung gegen Thaksin-kritische Berichterstattung in den Medien.
Das Bündnis der Gelbhemden ist inzwischen zerfallen, aber Abhisits Partei der Demokraten organisiert neuerdings Straßenproteste. Sie bringt in diesen Tagen Tausende Demonstranten auf die Straße. Am Freitag versammelten sich einige Tausend am Samsen-Bahnhof. „Dies wird ein unruhiger Monat“, prophezeit Saxer. „Ich glaube aber nicht, dass das total eskaliert.“
Der Senat berät nächste Woche über das Gesetz - reine Formsache.