Eine Oper ganz nach dem Drehbuch
Der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz hat in Antwerpen die Richard-Strauss-Oper „Der Rosenkavalier“ inszeniert.
Von Jörn Florian Fuchs
Antwerpen –Entwarnung! Man muss nicht unbedingt nach Antwerpen fahren, um diesen lang erwarteten „Rosenkavalier“ zu sehen. Die Reise würde sich, vor allem wegen des hervorragenden Sängerensembles, dennoch lohnen. Als Regietheater-Purist freilich kommt man voll auf seine Kosten. Christoph Waltz hat als Opernregisseur debütiert, das Ergebnis ist eine hübsch gestaltete Aufführung ganz nach dem (Dreh-)Buch. Man merkt, wie genau gearbeitet wurde, die Proben dauerten volle sieben Wochen. Schon beim ersten Bild wird deutlich, dass Waltz die Zuckerbäckerwelt von Strauss und Hofmannsthal nicht revolutionieren möchte. Die Marschallin (mit leuchtendem Timbre: Maria Bengtsson) trifft ihren Octavian (trotz Anlaufschwierigkeiten sehr schön: Stella Doufexis) im Himmelbett, welches das unzüchtige Geschehen durch einen Vorhang verhüllt. Eine gewisse Distance zwischen der eleganten Dame und ihrem jungen Quinquin stellt sich aber schon beim Frühstück ein. Man trinkt in Ruhe Kaffee und lässt bisweilen Kosenamen fallen.
Glänzend gelingt Waltz der Adabei-Aufmarsch aus Bittstellern, Fans und Verfolgern der Marschallin, ja es gibt eine regelrechte Verkaufsveranstaltung mit echten Vögeln und Hunden. Das Dienstpersonal trägt zwar keine Perücken, wirkt angesichts häufiger Bücklinge dennoch sehr verzopft. Während ein hereingeschneiter Sänger (kehlig schmachtend: Nico Darmanin) die Hausherrin zu bezirzen sucht, wird selbige aufwändig umfrisiert. Sie wandelt sich – zumindest haartechnisch – von einer eher biederen Person kurzzeitig zu Paris Hilton, um dann bei Catherine Deneuve zu landen. All dies geschieht in sanft stuckigen Räumen mit hereinstrahlendem Oberlicht, die sich im Laufe des Abends nur wenig verändern. Eva Desseckers Kostüme changieren zwischen diversen Stilen, abgesehen vom grauenhaft livrierten Polizeikommissar sind sie recht geschmackvoll.
Christoph Waltz möchte, wie gesagt, das Rad nicht neu erfinden. Seine Inszenierung bietet neben der häufig konzisen Personenführung ein paar prägnante Details. Die Rosenübergabe etwa wird zum urkomischen Verwirrspiel, dem von Albert Pesendorfer glänzend gesungenen Ochs nimmt man dagegen seine Verzweiflung kaum ab. Überhaupt hängt der dritte Akt weitgehend durch, fürchterlich ist das Ochs’sche Liebeswerben und sein Vorgeführtwerden. Hier „verstecken“ sich die ihn peinigenden Spießgesellen hinter transparenten Wänden und glotzen dämlich. Bieder und träge schleppt sich das Geschehen dahin. Wie es sich gehört, lässt Octavians Zukünftige, Sophie (nicht nur vokal mit gleißender Erotik: Christiane Karg), ihr Taschentuch fallen. Annina (gutes Rollendebüt: Ezgi Kutlu) hebt es auf und wird sich wohl rasch in ihr eigenes Liebesglück stürzen. Die Frage stellt sich, ob es für solch eine gediegen-solide Inszenierung unbedingt einen Hollywood-Star braucht. Aber vielleicht ist genau das die falsche Frage, denn in Antwerpen wurde ja nicht eine szenische Revolution versprochen, sondern schlicht und ergreifend ein neuer „Rosenkavalier“.
Als Kontrast zur Bühne sorgte Dmitri Jurowski am Pult des Flämischen Opernorchesters für recht grobe und laute Töne. Im hinteren, mittigen Parkett mischten sich Sänger und Orchester vorzüglich, offensichtlich war dies in den vorderen Reihen anders. Fast alle Sänger, so wurde berichtet, hätten ihre liebe Mühe mit Jurowskis Forte-Attacken gehabt. Die Publikumsreaktionen waren ebenfalls laut und einschränkungslos zustimmend. Nach der Aufführungsserie in Antwerpen und Gent reist der „Rosenkavalier“ weiter nach Luxemburg und London. In London darf sich Waltz dann mit einer Strauss-Veteranin befassen, Renée Fleming gibt die Marschallin. Ob sie ihr Kaffeetässchen wohl ebenso anmutig hält und so traumverloren traurig den Kopf wiegt?