„American Hustle“ - Verlierer müssen sich neu erfinden
David O. Russells für zehn Oscars nominierte Komödie „American Hustle“ erzählt von FBI-Intrigen in den Siebzigerjahren, von falscher Moral und Gefühlen, was sich alles im Kino wunderbar fälschen lässt.
Von Peter Angerer
Innsbruck –In einer der herzzerreißendsten und komischsten Sequenzen der Filmgeschichte erzieht Charlie Chaplins Tramp als Glasermeister ein Findelkind zu seinem Handlanger, um dem Hunger zu entkommen. Das Kind schmeißt in der Nachbarschaft mit Steinen Fensterscheiben ein, die Charlie wieder einsetzt und dafür Bares und Erotisches von dankbaren Hausfrauen kassiert. Auf der Flucht vor einem Polizisten versucht der Erwachsene das Kind zu treten, während sich „The Kid“ in grenzenloser Liebe an das Bein des Peinigers klammert. Das war 1921 Chaplins erstes Meisterwerk.
Kino-Start
American Hustle. Ab 10 Jahren. Ab Freitag in den Kinos.
60 Jahre später kämpft Irving Rosenfeld (Christian Bale) in einer grandiosen Eröffnung mit einem grotesken Haarteil und erinnert sich an seine Kindheit. Sein Vater war als Glasermeister der letzte ehrliche Mann New Yorks, doch die Stadt hat es ihm nicht gedankt, nicht einmal Irvings Zerstörungsmarathon gegen alle Fensterscheiben konnte den Vater retten. Diese Erfahrungen haben Irving geprägt, er ist zu einer Karikatur des Bösen, ein Verlierer, geworden, nur aus dem Spiegel blickt ihm der Sieger entgegen. „Die Leute glauben, was sie glauben wollen“, ist zu seinem Lebensmotto geworden, ohne zu realisieren, dass auch seine Sicht auf die Welt auf diesem Motto basiert. Der amerikanische Traum folgt diesem Prinzip und letztlich auch das Kino mit seinen Fälschungen und Fallen. Also, Vorsicht bei David O. Russells „American Hustle“, der Film ist hinterhältiger als seine kriminellen Helden.
Irving ist mit Rosalyn (Jennifer Lawrence), einem lebenden Blondinenwitz, verheiratet, liebt jedoch die ehemalige Stripperin Sydney Prosser (Amy Adams), die sich mit delikatem Dekolletee neu erfunden hat und als Lady Edith Greensly bei Irvings Geschäften eine wesentliche Rolle spielt. Für eine Grundgebühr von 5000 Dollar offeriert das Duo vage Kredithoffnungen für aussichtslose Fälle in der Wirtschaftskrise der ausgehenden 70er Jahre. Nur beim schmierigen Richie DiMaso (Bradley Cooper) sträuben sich Irvings Nackenhaare, doch Sydney greift gierig nach dem Barscheck und schon klicken die Handschellen. Dem Gaunerpärchen soll allerdings eine längere Haftstrafe erspart bleiben, wenn es bei einer FBI-Aktion hilft, Kriminelle in Politik und Wirtschaft zu überführen.
Diese Operation gab es tatsächlich und führte 1978 unter dem Decknamen Abscam zur Verhaftung des Bürgermeisters von Camden, eines Senators und mehrerer Abgeordneten des Repräsentantenhauses, während der (kriminelle) Lockvogel Melvin Weinberg belohnt wurde.
David O. Russell schält Weinbergs/Rosenfelds Geschichte aus dem politischen Kontext und konzentriert sich auf die komischen Aspekte der moralischen Konflikte. Besonders bizarr ist der professionelle Ansatz der beteiligten Personen. Um das Komplott perfekt zu inszenieren, steckt der ehrgeizige DiMaso einen Kollegen in eine weiße Dishdasha und glaubt damit, einen Ölscheich vor sich zu haben. In einem feinen Filetstück des Films wechselt der Mafiapate (Robert De Niro) ins Arabische, während der Agent nur Dialogzeilen aus „Lawrence von Arabien“ aufsagen kann. Es gibt Dutzende solcher Filetstücke, manche blutig, manche ironisch trocken, und ebenso viele Gründe zur Begeisterung. Einer davon ist Jennifer Lawrence, die in der Küche eine mordlüsterne Karaoke-Version von Paul McCartneys „Live And Let Die“ tanzt, nachdem sie Irving zur Hinrichtung durch die Mafia freigegeben hat. Aber auch Gangster glauben, was sie glauben wollen.