In das Herz der Finsternis
Alexander Payne lässt in „Nebraska“ den wunderbaren Hollywood-Veteranen Bruce Dern durch die heruntergekommene amerikanische Provinz reisen.
Von Peter Angerer
Innsbruck –In Sidney Pollacks „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ (1969) war Bruce Dern neben Jane Fonda einer der Tänzer, die sich während der Depressionszeit in einer Arena der Demütigungen an den amerikanischen Traum klammerten, der Freiheit und Glück versprach. Das Publikum liebt vielleicht die Tapferen, für das Eintrittsgeld möchte es jedoch den Mehrwert in der Form von Blut, Erniedrigung und Elend genießen. Mit dem Preisgeld könnte das Siegerpaar ein neues Leben beginnen, doch das Unternehmen ist wie der amerikanische Traum ein Schwindel. Von der Prämie muss die Marathonveranstaltung bezahlt werden und mit etwas Glück kommen die Tänzer schuldenfrei aus dem Tanzpalast. Wegen dieser zynischen Geschäftsstrategie entscheidet sich die von Jane Fonda gespielte Tänzerin für den Selbstmord und da ihr die Kräfte fehlen, bittet sie ihren Partner um den Gnadenschuss. Das war eine Geschichte über das Jahr 1932.
Im ersten Bild von Alexander Paynes „Nebraska“ sieht Bruce Dern als Woody Grant so aus, als würde er seit dieser elenden Tanzveranstaltung auf der Straße leben. Verwahrlost wie König Lear und verwirrt wie Don Quixote bemüht er sich um kraftvolles Schreiten und bringt doch nur ein bemitleidenswertes Humpeln zustande. Vor ihm liegen 1200 Kilometer Landstraße entlang der Rocky Mountains. Am Ziel, in Lincoln, Nebraska, will er triumphierend einen Gewinnschein aus seiner Jackentasche ziehen und eine Million Dollar kassieren. Kaum hat er die Stadtgrenze von Billings, Montana, erreicht, schubst ihn die Polizei in einen Streifenwagen. Sein Sohn David (Will Forte) muss ihn von der Wachstube abholen. Woodys Frau Kate (June Squibb) fragt sich, womit sie den Verrückten verdient habe, Davids älterer Bruder Ross (Bob Odenkirk) empfiehlt die Abschiebung in ein Pflegeheim, „und das ist mehr, als er jemals für uns getan hat“. Da ist Woody aber schon wieder verschwunden, auf die Million möchte er nicht verzichten. Der Scheck ist nichts anderes als ein Bestellformular, das mit dem Hinweis „Sie haben ein Million gewonnen!“ naive Menschen zu einem Abonnement von Zeitschriften und Magazinen verführen soll. Störrisch weist Woody jeden Betrugsverdacht zurück, bis sich David überwindet, den alten, millionärrischen Mann durch drei Bundesstaaten nach Nebraska zu fahren.
Es ist eine Reise durch Woodys Vergangenheit im wahren Amerika der Pioniere, nach zwei Tagen wird daraus eine Odyssee in das Herz der Finsternis, zu der später auch Kate und Ross aufschließen. Woodys eigene Neffen überfallen ihn im Schutz der Dunkelheit, der ehemalige Geschäftspartner Ed (Stacy Keach) versucht, Woodys Demenz ausnutzend, eine Erpressung wegen offener Rechnungen. Die ehemals stolzen Städte sind nur noch Slums, die Menschen haben sich angepasst. Später schwingt sich Ed zu einer rührenden Karaoke-Version von „In The Ghetto“ auf.
Aber auch in der Verelendung behält Woody seine Würde. Bei einem Sturz an einem Bahngleis verliert Woody seine Zahnprothese und als David nach Stunden die Zähne im Steinhaufen findet, sagt Woody, das sind nicht meine, schiebt sie sich aber doch schnell in den Mund.
In „About Schmidt“ schickte Alexander Payne 2002 Jack Nicholson als Pensionisten im Wohnmobil von Nebraska aus auf eine Erkundungsreise durch Amerika, um seiner Einsamkeit zu entkommen. Bereits damals erhielt er von Bob Nelson das Drehbuch zu „Nebraska“, das sich erst nach dem Triumph mit „The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten“ finanzieren ließ. In Lincoln wird Woody mit einer Baseballkappe abgespeist, die sich in eine Krone verwandelt. Wie Bruce Dern das macht, sollte mit einem Oscar belohnt werden.