Siemens entscheidet demnächst über Alstom-Übernahmeoffert

München (APA/Reuters) - Es hat Tradition: Wichtige Entscheidungen werden bei Siemens nachts, am Wochenende oder an Feiertagen gefällt. Am ko...

München (APA/Reuters) - Es hat Tradition: Wichtige Entscheidungen werden bei Siemens nachts, am Wochenende oder an Feiertagen gefällt. Am kommenden Wochenende dürfte es wieder soweit sein, wenn Konzernchef Joe Kaeser den Aufsichtsräten schildert, wie er ein Gebot für die französische Alstom sieht. Der Manager hatte sich zuletzt zurückhaltend über eine milliardenschwere Übernahme der Energietechnik geäußert.

Jeff Immelt vom US-Rivalen General Electric (GE) hingegen rührte für sein gut 12 Mrd. Dollar (8,8 Mrd. Euro) schweres Angebot kräftig die Werbetrommel. Es dürfte Kaeser schwerfallen, ein kühnes Gegenangebot vorzulegen, um die Amerikaner auszustechen. Bei den Arbeitnehmervertretern herrscht Skepsis, es könnten auch östlich des Rheins Arbeitsplätze wegfallen. Analysten bewerten einen Deal kritisch, Großinvestoren wie Union Investment haben sich eindeutig gegen ein Gebot positioniert.

Experten rechnen damit, dass Siemens ein komplexes, detailreiches Gebot vorstellen wird, dessen Grundzüge nach Angaben des französischen Wirtschaftsministeriums bereits am Donnerstag bekannt werden könnten.

Das Siemens-Konstrukt dürfte verglichen mit dem simplen US-Bargebot weitaus komplizierter ausfallen. Siemens hat bereits Alstom-Bereiche ausgeklammert, die für Frankreich von nationaler Bedeutung sind und bei denen es kartellrechtliche Probleme fürchtet.

Neben der Barkomponente, die Insidern zufolge unter 7 Mrd. Euro liegt, bietet Siemens Alstom noch seine Zugsparte an. Frankreich-Chef Christophe de Maistre hob hervor, dass für ein faires Geschäft sich auch Alstom die Mühe machen und selbst einen Wert für die Siemens-Zugtechnik ermitteln müsste. Alstoms Kronjuwelen sind die rund 6.000 in der Vergangenheit installierten Dampf- und Gasturbinen. Die Wartung dieser Stromerzeugungstechnik wirft erfahrungsgemäß ohne großen Kapitaleinsatz Renditen von 25 Prozent und mehr ab.

Die französische Regierung hatte sich bisher aus Angst vor Stellenstreichungen gegen ein Gebot der Amerikaner gewandt. Die Alstom-Führung wünscht sich indes GE als Käufer und zeigt bisher den Deutschen die kalte Schulter. GE-Chef Immelt suchte verstärkt den Kontakt zur französischen Spitzenpolitik. Kaeser hatte das Gespräch mit Pariser Regierungsvertretern zuletzt nicht mehr ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Der Elysee-Palast beurteilt zwischenzeitlich den Vorstoß Immelts nicht mehr ganz so abweisend, nachdem die Amerikaner versprochen haben, 1.000 neue Stellen in Frankreich zu schaffen. Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg hatte auch eine rein französische Lösung mit Beteiligung staatlicher Fonds ins Spiel gebracht.

Beiden Bietern dürfte im Erfolgsfall noch eine Menge Ärger ins Haus stehen. Während Siemens Geschäftsfelder mit Kartellrisiko wie etwa die Hochspannungsübertragungssparte wohl von vorneherein ausklammer dürfte, blüht den Amerikanern Stress mit den europäischen Wettbewerbshütern. Deutsche Juristen erwarten, dass sich die EU-Kommission vor allem an der starken Stellung im Geschäft mit großen Gasturbinen und Generatoren im Falle eines Zusammengehens stören dürfte. Dass die Kartellbehörden sich einen Deal genau anschauen werden, gilt als ausgemachte Sache. Deutschlands Kartellamtschef Andreas Mundt erwartet, dass ein Zusammenschluss von den Brüsseler Wettbewerbshütern genau unter die Lupe genommen würde.

In der Siemens-Zentrale gibt es viele Bedenken. Eine der gravierendsten: Der erst zehn Monate amtierende Vorstandschef Kaeser könnte die Organisation überlasten und der Konzern habe jahrelang an der Integration von Alstom zu knabbern. Auch Fondsmanager Christoph Niesel von Union Investment warnte, die Managementkapazitäten würden auf Jahre strapaziert, dabei würden sie doch gerade für Kaesers anlaufenden Konzernumbau gebraucht. „Die Ausbalancierung des Konzerns würde ad absurdum geführt, die Glaubwürdigkeit in die Neuausrichtung von Siemens erschüttert“, urteilt der Fondsmanager. Hinzu komme der Widerwille großer Teile des Alstom-Managements, mit Siemens zusammenzuarbeiten.

Sollte GE das Bieterrennen gewinnen und damit in Europa als Rivale erstarken, bliebe Siemens eine Reihe von taktischen Vorteilen als Trostpflaster. Nach dem „Blick in die Unterwäsche“, wie Kaeser die Buchprüfung bei Alstom nannte, wissen die Münchner recht genau, welche Risiken und Ertragsschwäche sich die Amerikaner einkaufen. Der Druck auf Immelt, in Frankreich zu triumphieren, ist groß. „Immelt muss kaufen“, sagte ein Insider jüngst und verwies auf die große Barschaft, die GE außerhalb des Heimatlandes verwaltet. Sollte er die Milliarden nicht im Ausland investieren können, drohen bei einer Rückholung in die USA hohe Steuern. Eine Alstom-Übernahme dürfte die GE-Renditen zumindest mittelfristig belasten. Das machte es Kaeser leichter, seinerseits auf Renditen wie die Konkurrenten zu kommen. An diesem Ziel war seiner Vorgänger Peter Löscher letztlich gescheitert.

~ ISIN DE0007236101 US3696041033 WEB http://www.siemens.com

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