Eine Nacht ohne Kompromisse
In Steven Knights „Locke – No Turning Back“ liefert Tom Hardy eine fulminante One-Man-Roadshow ab.
Von Peter Angerer
Innsbruck –In der Regel ist am Schuhwerk zu erkennen, ob jemand mit seinem Allradantrieb Status oder Verlässlichkeit ausdrücken will. Zuerst sind von Ivan Locke (Tom Hardy) nur die aus dem Schlamm gezogenen Arbeitsstiefel zu sehen, die in einen bayerischen SUV gestellt werden. Über diesen Widerspruch definiert Steven Knight in seinem zweiten Film „Locke – No Turning Back” den Helden, der weder vor harter Arbeit noch vor Annehmlichkeiten zurückschreckt. Für den Rest des Films, der in Realzeit von einer Autofahrt von Birmingham nach London erzählt, bleibt die Kamera auf Lockes Gesicht. Für diese beispiellose One-Man-Roadshow stehen dem Schauspieler Tom Hardy als Requisiten nur ein Handy und eine Familienpackung Taschentücher zur Verfügung. Unsichtbar bleibt der Passagier als Objekt für eine Abrechnung auf der Rückbank – Lockes Vater.
Locke macht als Bauleiter der größten Baustelle Europas Feierabend. Für den nächsten Tag hat er ein Ballett aus Betonmischmaschinen entworfen, das sein Herz höherschlagen lässt, denn Locke brennt für Perfektion und die Schönheit des Betons. Eine Kolonne von Lastkraftwagen aus ganz England wird Birmingham umkreisen und im exakt berechneten Moment Beton in eine Baugrube für ein Fundament gießen, das es so noch nicht gegeben hat. Aber Locke wird bei dieser Zeremonie nicht anwesend sein. Zu Hause erwarten ihn seine Frau (Ruth Wilson) und seine beiden Söhne zu einer Fußballübertragung im Fernsehen, die seit Tagen die Gemüter erhitzt. Locke wird auch dieses Spiel nicht sehen.
Bei strömendem Regen und mit schwerem Schnupfen ist er unterwegs nach London, wo Bethan (Olivia Colman) in dieser Nacht sein Kind zur Welt bringen wird. Locke hat diese unscheinbare Frau nur ein einziges Mal in einer kalten und menschenfeindlichen Nacht gesehen. Eigentlich wollten zwei einsame Seelen einander nur wärmen, doch Bethan, an der das Leben ohne einen Sonnenstrahl vorbeigezogen war, ist schwanger geworden. Locke ist der Einzige, den sie im Krankenhaus als Angehörigen angeben konnte. Da mit einer komplizierten Geburt zu rechnen ist, fährt Locke nach London, um dem Kind eine andere Geschichte zu hinterlassen, als es sein auf der Rückbank lümmelnder Vater getan hat. Für die Zukunft wäre es auch klug, sich beim von Chicago aus gelenkten Baukonzern krankzumelden, doch in dieser Nacht der Entscheidungen gibt es keine Kompromisse mehr.
„Locke” (Originaltitel) ist der letzte „kleine“ Film, in dem der Brite Tom Hardy zu sehen ist, bevor er 2015 in die Liga der Superstars eintreten wird. Dabei ist es Hardys außergewöhnliche Verwandlungskunst, die seinem Prestige und der Wiedererkennbarkeit bisher im Weg stand. Was er in den vergangenen Jahren an Monstern (als Bane in „The Dark Knight Rises”) und Psychopathen („Bronson”) abgeliefert hat, waren faszinierende Kostproben physischer, vor der Explosion stehender Präsenz. Im kommenden Jahr wird Hardy in drei Filmen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, seine Vielseitigkeit demonstrieren können. Für Kathryn Bigelow spielt er in „True American” den patriotischen Killer Mark Stroman, der nach 9/11 in jedem Moslem einen Feind Amerikas sieht. Im Biopic „Rocketman” wird er als Elton John singen. Dafür wird in „Fury Road” als Mad Max keine Zeit sein.