Irak - Tony Blair: Islamisten-Vormarsch keine Folge der Invasion 2003
Moskau/Bagdad (APA/AFP/dpa) - Der frühere britische Premierminister Tony Blair sieht die aktuelle Gewalt im Irak nicht im Zusammenhang mit d...
Moskau/Bagdad (APA/AFP/dpa) - Der frühere britische Premierminister Tony Blair sieht die aktuelle Gewalt im Irak nicht im Zusammenhang mit der US-geführten Invasion 2003. Die Argumentation, dass es ohne ein militärisches Eingreifen der USA und Großbritanniens jetzt keine Krise in der Region geben würde, sei „bizarr“, schrieb Blair auf seiner Website. Die grundlegende Ursache für die Krise sei in der Region zu suchen.
Der Ex-Premier warf der Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki vor, die „einmalige Chance“ verpasst zu haben, „einen geeinten Irak aufzubauen“. Die sunnitischen Minderheit im Irak fühlt sich von der Regierung unter dem schiitischen Regierungschef benachteiligt.
Der Vormarsch der sunnitischen Islamisten im Irak sei auch durch den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien begünstigt worden, wo die Extremisten Kampferfahrung sammeln konnten, schrieb Blair weiter. Er sprach dafür aus, den moderaten Rebellen in Syrien „die nötige Unterstützung“ zu gewähren und forderte gleichzeitig ein entschiedenes Vorgehen gegen Extremisten in Syrien und im Irak.
Der damalige US-Präsident George W. Bush hatte im März 2003 ohne Mandat der Vereinten Nationen den Einmarsch in den Irak angeordnet. Die „Koalition der Willigen“, zu denen auch das damals von Blair regierte Großbritannien zählte, stürzte binnen weniger Wochen den irakischen Machthaber Saddam Hussein. Nach achtjähriger Besatzung verließen Ende 2011 die letzten US-Soldaten den Irak.
Kämpfer der sunnitischen Extremistengruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIL) eroberten in den vergangenen Tagen mehrere Städte und Regionen im Norden des Irak und rückten anschließend in Richtung der Hauptstadt Bagdad vor.
Angesichts der Eskalation rief der Außenminister des nicht an der Invasion beteiligten Deutschland, Frank-Walter Steinmeier, die Staaten der Region auf, Verantwortung zu übernehmen. Dabei nannte er auch den Iran, der der irakischen Zentralregierung bereits Unterstützung im Kampf gegen die ISIL zugesagt hat. „Wir müssen verhindern, dass jetzt auch noch auf irakischem Boden ein Stellvertreterkrieg der regionalen Mächte ausbricht“, sagte Steinmeier der „Welt am Sonntag“. „Alle Nachbarn - Saudi-Arabien, die Golfstaaten, die Türkei, übrigens auch der Iran - können kein Interesse daran haben, dass sich jenseits Syriens in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein riesiger herrschaftsloser Raum entwickelt, der zum Tummelplatz für Söldnergruppen, Islamisten jedweder Couleur und Terroristen wird.“
An einer Stabilisierung des Irak wird sich Deutschland nach Aussage von Steinmeier allenfalls in geringem Umfang beteiligen. „Wir sollten den möglichen deutschen Beitrag nicht überschätzen“, sagte er. „Ich kann mir keine Konstellation vorstellen, in der deutsche Soldaten dort zum Einsatz kommen.“
Wie Blair war auch Steinmeier der irakischen Regierung schwere Versäumnisse vor. „Die internationale Hilfe ist nicht ausreichend zur Herstellung politischer und wirtschaftlicher Stabilität eingesetzt worden“, kritisierte er. „Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 400 Millionen Euro bereitgestellt, andere Länder noch mehr.“