Ein halbes Jahrhundert Künstlerdorf Neumarkt an der Raab 1
Neumarkt an der Raab (APA) - Der Dichter Peter Handke, Maler Christian Ludwig Attersee, aber auch Regisseur Wim Wenders, Bildhauer Wander Be...
Neumarkt an der Raab (APA) - Der Dichter Peter Handke, Maler Christian Ludwig Attersee, aber auch Regisseur Wim Wenders, Bildhauer Wander Bertoni und viele andere Größen der Kunst- und Kulturszene haben etwas gemeinsam: Sie alle haben schon - ob kurz oder auch für längere Zeit - im idyllischen Neumarkt an der Raab ihre Zelte aufgeschlagen. Das „Künstlerdorf“ im Südburgenland feiert heuer sein 50-jähriges Bestehen.
Am Anfang stand in den 1960er-Jahren der Kauf eines vom Abriss bedrohten, in traditioneller Bauweise aus Lehm errichteten und mit Stroh gedeckten Streckhofes um 27.000 Schilling (1.962,17 Euro). Der Maler Feri Zotter, der damalige Landeskonservator und spätere Direktor des 20er-Hauses, Alfred Schmeller, und Zeichner Eduard Sauerzopf bemühten sich um den Erhalt des Gebäudes. 1964 wurde mit einigen Gleichgesinnten der Verschönerungs- und Fremdenverkehrsverein Neumarkt an der Raab - heute Kulturverein Künstlerdorf Neumarkt an der Raab - ins Leben gerufen.
Das Bauernhaus wurde als erstes Atelierhaus zur Wirkungsstätte und Bleibe für Künstler, am 8. Juni 1968 fand die Eröffnung statt. Als Erster mietete sich der Maler und Grafiker Johannes Wanke ein. Ihm folgte Peter Handke, der in Neumarkt seine Erzählung „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ konzipierte. Regisseur Wim Wenders hat das Buch 1971 verfilmt und dabei auch im Südburgenland gedreht.
Das „Künstlerdorf“ begann zu wachsen: 1970 wurde ein weiteres Haus gekauft, später folgte auch eine Ölmühle. Die alte Dorfschule verwandelte sich in eine Galerie, auch das Gebäude mit dem ältesten Kino des Burgenlandes „übersiedelte“ nach Neumarkt. 2006 wurde eine modern ausgestattete Druckwerkstatt eingerichtet.
Eine Aufzählung der Künstler, die Neumarkt und die Region besucht haben, würde einem Who is Who der Kunst- und Kulturszene gleichen. Der italienische Dirigent Giuseppe Sinopoli besaß in Neumarkt ein Haus, Vertreter der Grazer Autorenversammlung wie H. C. Artmann, Wolfgang Bauer und Gerhard Roth schrieben im Künstlerdorf. Neben literarischen Werken erblickten Skulpturen, Biennale-Arbeiten von Attersee und die Idee zur in den 1970er-Jahren revolutionären Humanic-Werbung das Licht der Welt.
„Es war das Epizentrum einer Epoche der Kunst“, so Petra Werkovits, seit 2008 Vorsitzende des Vereins „Künstlerdorf Neumarkt an der Raab“, zur APA. Mit dem Ableben der Initiatoren war es in Neumarkt allerdings zwischenzeitlich ruhiger geworden. Der Zahn der Zeit hatte an den Gebäuden genagt, Gäste seien ausgeblieben. „Es waren sehr schwere Zeiten, als ich die Leitung des Künstlerdorfes übernommen habe. Damals war das alles sehr ungewiss, ob das überhaupt weitergehen kann“, schildert Werkovits.
„Es war einmal sehr viel Arbeit zu leisten, um das Ganze auf eine solide wirtschaftliche Basis zu stellen, um das Vertrauen der Kooperationspartner wieder zu gewinnen“, erzählt die Kulturmanagerin. Inzwischen fänden wieder Kunsthochschulen und Akademien den Weg ins Künstlerdorf, um hier zu arbeiten.
„Es kommen Künstlergruppen aus der ganzen Welt. Wir sind wieder ein interessanter Partner geworden für internationale Kulturinstitutionen. Das war sehr viel Aufbauarbeit“, sagt Werkovits: „Dieser 50. Geburtstag ist auch irgendwie gleichzusetzen mit einem Wendepunkt, mit einer Stunde Null. Die Vergangenheit ist großteils aufgearbeitet, Schulden sind nahezu bezahlt, die Häuser renoviert.“
Heute besteht das Künstlerdorf aus neun großteils denkmalgeschützten Gebäuden. Von April bis Oktober kommen wochenweise Künstlergruppen, darunter Studierende mit ihren Professoren von verschiedensten Kunsthochschulen und Fachschulen, die die Möglichkeiten in Neumarkt nützen: „Wir haben eine der best ausgestatteten Druckwerkstätten von ganz Österreich“, so Werkovits. Neben Ateliers zum Arbeiten gebe es auch Dunkelkammern und Fotolabors, man sei fürs plastische Gestalten ebenso ausgestattet wie für Malerei und Druck.
Im Juli und August findet die Sommerakademie statt: „Da kann im Prinzip jeder kommen, der sich einmal versuchen möchte in einer künstlerischen Disziplin.“ Die Künstler würden es sehr genießen, wenn sie sich in Neumarkt zum Beispiel auf Ausstellungen vorbereiten, meint Werkovits: „Durch diese 50 Jahre, was da alles schon passiert ist, atmet man dort auch den Genius Loci.“