Bruchstellen der Erinnerung
„Share“ nennt sich ein Ausstellungsprojekt, das den Blick im Weltkriegsgedenkjahr mit Videokunst aus Bosnien und Herzegowina bewusst auf die Gegenwart lenkt.
Von Ivona Jelcic
Innsbruck –Bogdan Bogdanovic, Architekt, Stadttheoretiker und ehemaliger Belgrader Bürgermeister, erinnert sich an eine Stadt vor dem Krieg, die in ihrer Multikulturalität einzigartig war. Und dennoch, geradezu „dämonisch“, so Bogdanovic, hätten gerade in Sarajevo die kriegerischen Auseinandersetzungen, die den Zerfall Jugoslawiens begleiteten, mit am härtesten zugeschlagen.
Bogdanovic’ „Comment“, festgehalten im gleichnamigen Video von Hermann Peseckas und Tommy Schneider, habe bei der Präsentation in Sarajevo viele ältere Menschen zu Tränen gerührt, sagt Annemarie Türk, Kuratorin des Projektes „Share – Too Much History, More Future“. Es versammelt zwölf Videoarbeiten von Künstlern aus Bosnien und Herzegowina sowie von österreichischen bzw. in Österreich lebenden: Ein vom Bundeskanzleramt getragener und von der internationalen Stiftung „Sarajevo – Heart of Europa“ mitfinanzierter Beitrag zum Gedenkjahr 2014, der den Blick auch auf Gegenwart und Zukunft lenken will. Die in Bosnien-Herzegowina, gerade auch was die Kunstszene betrifft, prekär ist: „Es gibt im Grunde keine Förderstrukturen“, so Türk. Dennoch, so die langjährige Leiterin des Bereichs Kulturförderung bei Kulturkontakt Austria, existiere eine „unglaublich spannende Kunstszene, die aber ziemlich isoliert ist“: Die Künstler seien auf Kooperationen, meist mit Institutionen in Westeuropa, angewiesen. Auch „Share“ ist eine solche, mit der im Rahmen des Projekts produzierten Videoedition wollte man den Künstlern auch „eine Visitenkarten in die Hand geben“, zudem wurde ein Videokunst-Wettbewerb ins Leben gerufen.
Die Ausstellung tourt durch europäische Städte, am 27. und 28. Juni werden die Videos auch im 21er Haus in Wien präsentiert, im Herbst sind sie beim Videofestival von Trebinje in der Republika Srpska zu sehen. Wo sich in einer ehemaligen k. u. k. Militärkaserne eine von heute insgesamt vier Kunstakademien Bosnien-Herzegowinas befindet. Studiert hat hier auch Igor Bosnjak, dessen „Share“-Beitrag mit dem Titel „BHS“ sich mit den paradoxen Abgrenzungsmechanismen zwischen den Volksgruppen auseinandersetzt, für die gerade die Sprache ein zentrales Vehikel ist. Von Bosjnak in Gebärdensprache übersetzt verschwinden die zum Teil bewusst implementierten Unterschiede aber wieder – die Zeichen für das Bosnische, Kroatische und Serbische bleiben die gleichen.
Die Auseinandersetzung mit Erinnerung, kollektiver genauso wie persönlicher, bildet die lose, thematische Klammer der Beiträge, die in Wien lebende Russin Anna Jermolaewa etwa legt das Gefühl verloren gegangener Geborgenheit frei, wenn sie in „In/Out“ von einem sorgfältig eingeräumten Bücherregel so lange aufzoomt, bis man ein Abbruchhaus erkennt, dessen bereits eingerissene Wände wie eine klaffende Wunde die Sicht auf ein scheinbar gerade noch bewohntes Zimmer freigeben. Die Arbeiten der Sarajevoer Künstlerin Sejla Kameric über Kriegserfahrung in der belagerten Stadt, gewaltsame Grenzziehungen und Genozid haben internationale Aufmerksamkeit erregt, etwa „Bosnian Girl“ von 2003. In „Glück“ bildet Berlin die Kulisse für eine traumsequenzhafte Reflexion über Überlebenskampf und Zukunftshoffnung.
Ana Hoffner wiederum, deren Arbeiten man in Innsbruck während ihres Fellowships im Künstlerhaus Büchsenhausen 2009/2010 kennen gelernt hat, überträgt Überlegungen zu gesellschaftlichen Wandlungsprozessen auch in körperliche Erfahrung, wenn sie sich in „After the transformation“ mit dem eine Geschlechtsumwandlung begleitenden Stimmtraining auseinandersetzt.