1914/2014 - Lesenswert: Franz-Ferdinand-Roman „Der Thronfolger“

Wien (APA) - Am Samstag wird seines hundertsten Todestags gedacht. Der blutbefleckte Uniformrock von Thronfolger Franz Ferdinand, der am 28....

Wien (APA) - Am Samstag wird seines hundertsten Todestags gedacht. Der blutbefleckte Uniformrock von Thronfolger Franz Ferdinand, der am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordet wurde, wird dann im neu aufgestellten Ersten-Weltkriegs-Saal des Heeresgeschichtlichen Museums wieder zu sehen sein. Viel über den Menschen, der einst in dieser Uniform steckte, erfährt man bei der Lektüre des Romans „Der Thronfolger“.

Der Franz-Ferdinand-Roman des tschechisch-österreichischen Journalisten und Autors Ludwig Winder (1889-1946) wurde 1937 im Schweizer Humanitas-Verlag erstmals veröffentlicht. Im nationalsozialistischen Deutschland durfte das Buch des jüdischen Autors nicht erscheinen, in Österreich verbot ein Gesetz zum Schutze des Ansehens Österreichs die Verbreitung. 1984 wurde der Roman in der DDR ein zweites Mal veröffentlicht. Die kürzlich erfolgte Neuausgabe durch den österreichischen Zsolnay Verlag wurde ein durchschlagender Erfolg und schaffte es im Juni auch (ex aequo) an die Spitze der ORF-Bestenliste.

„Ludwig Winder schildert den Entwicklungsgang seines Protagonisten mit der objektivierenden Distanz eines Historikers und der Einfühlungsgabe eines psychologischen Romanschriftstellers“, beschreibt Ulrich Weinzierl in seinem Nachwort treffend die Charakteristik des Romans. „Oft wechselt er vom Standpunkt des auktorialen, allwissenden Erzählers zur subjektiven Perspektive der handelnden Personen, sodass wir Zeugen der Gedanken und Emotionen werden, uns in sie hineinzuversetzen gezwungen sind.“

Tatsächlich kommt einem Franz Ferdinand viel näher, als es bei der Lektüre der zahlreichen neu erschienenen oder neu aufgelegten Biografien der Fall ist. Doch Winder hat keineswegs bloß seine Fantasie spielen lassen, sondern überaus penibel recherchiert. Auch in neueren historischen Werken wird er als Quelle genannt, und dass man nicht nur ein Psychogramm des verhinderten Regenten, der einen heutigen Leser in mancher Hinsicht an den ewigen britischen Thronfolger Prinz Charles erinnert, sondern auch einen Einblick in die politischen und gesellschaftlichen Machtstrukturen am österreichischen Hofe erhält, zählt zu den großen Vorzügen des Buches.

Das soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Der Thronfolger“ zwar historisch fundiert und psychologisch durchdacht, aber auch konventionell erzählt ist. Das Buch beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Geschichte von König Ferdinand II. beider Sizilien, des Großvaters von Franz Ferdinand, der die aufständische Bevölkerung bombardieren ließ und den grausamen Spitznamen „Re Bomba“ erhielt, und endet 1914 mit den abenteuerlichen Begleitumständen der Überführung der Leichname von Franz Ferdinand und seiner Gattin Sophie Chotek nach Artstetten.

Dabei entsteht ein Zeitpanorama, in dem die Erstarrtheit und Überlebtheit einer Epoche greifbar wird. Alleine die Audienzen beim greisen Kaiser Franz Joseph sind überaus plastisch beschrieben. Solche Situationen versteht Winder meisterlich auszumalen. Da sieht man ihm gerne nach, dass er dabei manchmal zu viel in den Farbtopf langt und mitunter allzu pastos aufträgt.

Wirklich kitschig wird „Der Thronfolger“ nie - schließlich schwenkt das Geschehen von der rührenden Liebe des misanthropischen Kaiser-Neffen zu einer nicht sonderlich hübschen, altjungferlichen, vor allem aber nicht standesgemäßen Gräfin, immer wieder zu den ungeduldigen, doch ins Leere laufenden politischen Plänen des Thronfolgers, der - nur endlich erst an die Macht gelangt - beabsichtigte, gegen die allzu selbstbewussten Ungarn mit eiserner Faust durchzugreifen und Reformgedanken vom Bundesstaat bis zu einem die Südslawen einbeziehenden Trialismus wälzte.

Für Karl-Markus Gauß ist „Der Thronfolger“ ein „Meisterwerk“ und „einer der klügsten Romane über die letzten Jahre der k. u. k. Monarchie“, wie er in einer Rezension für die „Zeit“ geschrieben hat. Für die „Neue Zürcher Zeitung“ ist das Buch von „stupender Unterhaltsamkeit“ und für die „FAZ“ eine „subtile und spannende psychologische Studie“ und zugleich eine „hellsichtige Schilderung der politischen Verhältnisse, die zur Kriegserklärung an Serbien führen“. Ob dem „Thronfolger“ tatsächlich künftig „ein Platz neben Joseph Roths ‚Radetzkymarsch‘ gebührt“, sei dahingestellt. In jedem Fall ist der wiederentdeckte Roman eine dringende Lektüreempfehlung wert. Auch nach dem 28. Juni.

(S E R V I C E - Ludwig Winder: „Der Thronfolger. Ein Franz-Ferdinand-Roman“, Zsolnay Verlag, 576 S., 26,80 Euro)