Große Koalition in Deutschland ringt um Stabilitätspakt und Schulz
Berlin (APA/Reuters) - Es war eine vergiftete Zusage, die Manfred Weber abgab. Er werde den Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP) ...
Berlin (APA/Reuters) - Es war eine vergiftete Zusage, die Manfred Weber abgab. Er werde den Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament vorschlagen, Martin Schulz für zweieinhalb Jahre zum Parlamentspräsidenten zu wählen, sagte der neue EVP-Fraktionsvorsitzende der „Welt“.
Auf den ersten Blick ist dies die versprochene Umsetzung des Deals, den CDU-Chefin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel vergangene Woche vereinbart hatten: Danach verzichtet die SPD darauf, den deutschen EU-Kommissar benennen zu wollen. Im Gegenzug sagte Merkel zu, dass zumindest die deutschen EVP-Mitglieder den SPD-Europapolitiker und bisherigen EP-Präsidenten Schulz mitwählen würden. Webers Ankündigung wird aber auch als Ausdruck eines noch immer tobenden Machtkampfs zwischen Sozialisten und Konservativen auf nationaler und europäischer Ebene gewertet, in dem es um Personen und politische Ausrichtung geht.
Denn eigentlich hatten die Sozialdemokraten gehofft, dass Schulz nach dem Ende seiner Ambitionen auf einen Kommissions-Posten diesmal zumindest für fünf Jahre als Parlamentspräsident gewählt wird. Auch etliche Unions-Politiker hatten in den vergangenen Wochen im Hintergrund angedeutet, dass man an eine Wahl für die gesamte Legislaturperiode denken könnte, wenn denn die SPD nur ihren Anspruch auf den Kommissionsposten aufgeben würde.
Doch davon ist nun keine Rede mehr - was auch mit einem ganz anderen Thema - dem Europäischen Stabilitätspakt - zusammenhängt. Denn in der Union gibt es erhebliche Verärgerung, dass Gabriel das Anliegen der sozialistischen Regierungen Italiens und Frankreichs unterstützt, den Stabilitätspakt aufzuweichen. „Mehr Zeit gegen Reformen“ lautet die Formel, unter der diese Debatte läuft. Unter allen Umständen wollen Europas Sozialdemokraten den Eindruck verstärken, dass die bisherige „Austeritätspolitik“ durch eine von ihnen eingeleitete Hinwendung zu „Wachstum und Beschäftigung“ abgelöst wird. „Die SPD ist nicht billig zu haben“, triumphierte der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner am Montag im Deutschlandfunk. Der Konservative Jean-Claude Juncker werde nur zum EU-Kommissionspräsidenten gewählt, wenn die Konservativen Zugeständnisse beim Stabilitätspakt machten.
Im CDU-Präsidium sorgte das am Montag für Kritik. Zwar bemühten sich Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Regierungssprecher Steffen Seibert, den Eindruck zu erwecken, es ändere sich ohnehin nichts beim Stabipakt. Aber andere CDU-Spitzenpolitiker sehen dies weniger gelassen. Es könne nicht sein, dass die Sozialisten Juncker nur dann durchwinken wollten, wenn der Stabilitätspakt aufgeweicht werde, warnte etwa die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. „Man hat den Eindruck, viele wollen sich nur aus den Zwängen ihrer Haushalte rauslavieren.“
Das Unionsangebot für nur eine Halbzeit Parlamentspräsident wirkt also wie eine Retourkutsche - auch wenn das zeitliche Splitting zur Mitte der Legislaturperiode bisher zwischen den großen Fraktionen in Straßburg üblich war. Aber der frühere Fraktionsvorsitzende der europäischen Sozialisten (SPE), Hannes Swoboda, hatte eine Fünf-Jahres-Periode für Schulz gerade noch begrüßt, weil damit das EP zu einem „normalen“ Parlament aufgewertet würde. „Ich glaube, für die Sichtbarkeit des Parlaments wäre eine stärkere Kontinuität günstig“, hatte der österreichische Sozialdemokrat betont. Zudem würden ja auch der Kommissionspräsident und die Kommissare für fünf Jahre gewählt.
Im Umkehrschluss hieße das: SPD und Sozialisten hätten „ihren“ Posten nur für zweieinhalb Jahre sicher, während Union und Konservative „ihre“ Posten fünf Jahre besetzen dürften - und dann zur Hälfte der Legislaturperiode auch noch den Parlamentspräsidenten hinzubekämen.