Vom Transportweg zur S-Bahn: Wiener Neustädter Kanal teils freigelegt
Wien (APA) - Als 2009 die Bauarbeiten zum Stadtentwicklungsprojekt „Eurogate“ auf den Aspanggründen in Wien-Landstraße begannen, erwarteten ...
Wien (APA) - Als 2009 die Bauarbeiten zum Stadtentwicklungsprojekt „Eurogate“ auf den Aspanggründen in Wien-Landstraße begannen, erwarteten sich die Archäologen der Stadt Wien eigentlich Funde aus der Römerzeit. Zum Vorschein kam allerdings die Struktur des Wiener Neustädter Kanals. Die Grabungen sowie Geschichte und Aufgaben des Kanals thematisiert jetzt ein Buch, das am Donnerstag (26.6.) präsentiert wird.
„Im Zuge der Bauarbeiten tauchten kaum Überreste römischer Siedlungen entlang des ehemaligen Limeswalls auf, sondern Mauerstrukturen und Holzarchitekturen des aufgelassenen Wiener Neustädter Kanals“, berichtete die Leiterin der Wiener Stadtarchäologie, Karin Fischer Ausserer, im Gespräch mit der APA. Rund 64 Kilometer erstreckte sich der 1803 nach englischem Vorbild errichtete Industrie-Transportweg und sollte das Wiener Stadtzentrum mit dem Gebiet südlich der Donau verbinden.
Die Publikation „Wiener Neustädter Kanal. Vom Transportweg zum Industriedenkmal“ zeichnet die Geschichte des Kanals nach, über den vor allem Baumaterialien wie Holz, Ziegel und Kohle per Schiff nach Wien gebracht wurden. „Ursprünglich sollte der Kanal dem Kohlentransport aus dem Raum Wiener Neustadt und Ödenburg nach Wien dienen. Langfristig wollte man dann Donau und Adria miteinander verbinden“, schilderte Fischer Ausserer. Doch die Erweiterungspläne schafften es nicht einmal bis ins ungarische Györ, schließlich endete der Kanal an der damaligen österreichisch-ungarische Grenze auf der Pöttschinger Höhe.
Dennoch wurde der schnellere und unkompliziertere Wasserweg immer beliebter - auch wenn gerade in Wien einige Schwierigkeiten mit der verwinkelten Strecke verbunden waren. „Teilweise wurden Schiffe mit Fuhrwerken über die Schleusen des Kanals gezogen“, erzählte die Leiterin der Stadtarchäologie. Deshalb wechselten auch die Betreiber des Kanals häufig: Einmal übernahmen private Pächter - etwa Ziegelfirmen - den Betrieb, dann wieder befand sich der Kanal zeitweise auch im Besitz des Staates.
„Der Wiener Neustädter Kanal ist ein bedeutendes Industriedenkmal“, meinte Fischer Ausserer. Allerdings nahm mit dem Aufkommen der Eisenbahn die Popularität der Schifffahrt vor allem am Wiener Teil rasant ab: „Vor allem technische Schwierigkeiten mit den unterschiedlichen Strömungen und Schleusen machten Probleme, zudem leckte der Kanal an mehreren Stellen. Die Reparatur- und Ausbesserungsarbeiten waren aber schlicht zu teuer“, erklärte sie. 1879 wurde das Wasser in Wien abgelassen, 1881 wurde die Wasserroute endgültig durch die „Eisenbahn Wien-Aspang“ ersetzt.
Um die Eisenbahntrasse und den Bahnhof Wien-Aspang zu errichten, wurde der Wiener Teil des Kanals eingewölbt und überdacht. Die Bahnstrecke blieb noch bis weit ins 20. Jahrhundert in Betrieb, der letzte Zug verließ den Bahnhof 1970. Heute nutzt die Schnellbahn zwischen den Stationen Wien Mitte und Rennweg Teile des Kanals: Von der Kleistgasse bis zum Bahnhof Wien Mitte verläuft die Schnellbahntrasse im ehemaligen Kanalbett.
Während in Niederösterreich noch 36 Kilometer des nun als Werkskanal genutzten Gewässers sichtbar und eine beliebte Radfahr- und Wanderroute sind, erinnere in Wien nur noch wenig an den Kanal, so Fischer Ausserer. In Simmering etwa folgt die Straße „Am Kanal“ dem Verlauf der ehemaligen Wasserroute. Und auch an der Kreuzung Rennweg und Landstraßer Hauptstraße sind noch einige Meter des Kanalbettes mit den beiden Dämmen erhalten. Sehr deutlich ist noch die Verbreiterung bei der Beatrixgasse vor der Universität für Musik und darstellende Kunst zu sehen - bis 1849 befand sich dort die doppelte Rabengassenschleuse. Die originalen Steinquadermauern seien heute jedoch durch Lärmschutzwände verdeckt.
Die Funde am Eurogate-Gelände wurden von der Wiener Stadtarchäologie in einer Rettungsgrabung dokumentiert, fotografiert, in Pläne eingetragen und schließlich wissenschaftlich aufgearbeitet. Die Überreste selbst wurden dann abgetragen - das Bauprojekt fand wie geplant statt.
(S E R V I C E - Johannes Hradecky/Werner Chmelar: „Wiener Neustädter Kanal. Vom Transportweg zum Industriedenkmal“, Wien Archäologisch Band 11, Phoibos Verlag, 192 Seiten, 21,90 Euro, ISBN: 978-3-85161-069-7, Präsentation am 26. Juni, 19 Uhr, Festsaal des Amtshauses, Enkplatz 2, 1110 Wien)