Stillleben mit einer Vergessenen
Mit Emmanuelle Devos und Sandrine Kiberlain spürt Martin Provost in „Violette“ dem Leben der Autorin Violette Leduc nach.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Anders als die weiße Leinwand des Malers oder das Notenblatt des Komponisten ist das leere Blatt Papier des Schriftstellers oder der Schriftstellerin für Regisseure biografischer Filme noch immer eine Herausforderung. Während auf der Leinwand bald Figuren oder abstrakte Farben sichtbar werden, sich die wie Ameisen tanzenden Noten auf der Tonspur bald in eine Melodie zum Mitpfeifen verwandeln, wird der kreative Prozess des Schreibens von Anspannung und Verzweiflung begleitet. Nach einem Tag oder einer Nacht wird die Mühsal oft nur mit einem kargen Satz belohnt, der für sich allein noch keines Menschen Herz schneller schlagen lässt. Obwohl Autoren über keine uninteressantere Biografie als Maler oder Komponisten verfügen, stehen sie wegen ihres Handwerks in der zweiten Reihe und für Langeweile.
Martin Provost, der 2008 mit seinem biografischem Drama über die Malerin Séraphine Louis berühmt wurde, verwandelt in seinem Film über die französische Schriftstellerin Violette Leduc die Texte in Toncollagen, indem er seine Heldin für eine ideale Leserin schreiben lässt. Diese Leserin ist die Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir, ohne deren Unterstützung es die Autorin Leduc gar nicht gäbe. Ohne Selbstvertrauen flüsternd beginnt Violette (Emmanuelle Devos) ihre Sätze zu schreiben, die Simone (Sandrine Kiberlain) fasziniert zu Ende liest.
Es sind ungeheuerliche Sätze, aber auch ebensolche Erfahrungen, über die Violette schreibt und über die zu schreiben – 1945 – noch verboten war: Homosexualität, Abtreibung, erotische Fantasien, über die nur Männer schreiben durften. „Sie hat aus ihrem Leben den Stoff ihres Werkes gemacht“, wird de Beauvoir 1972 in „Alles in allem“ schreiben, „das umgekehrt ihrem Leben Sinn gegeben hat.“
Violette wurde 1907 nicht nur als uneheliches Kind der Putzfrau Berthe Leduc (Catherine Hiegel) geboren, sie war vor allem das „ungewollte“ Kind, das in Armut ohne Zärtlichkeit aufwuchs, das früh die Neigung zu Frauen entdeckte und sich während der deutschen Besetzung Frankreichs in der Männerdomäne des Schwarzhandels durchsetzen konnte. 1944 entdeckt sie bei der Lieferung von Lebensmitteln einen Roman und wundert sich, „dass eine Frau ein so dickes Buch schreiben kann“. Es ist der Roman „Sie kam und blieb“ von Simone de Beauvoir, der die Schwarzhändlerin bald auflauert, um sie mit Delikatessen, Zuneigung und einem Manuskript zu überschütten. De Beauvoir nimmt nur Pastete und Schinken, das Manuskript übergibt sie begeistert Albert Camus, der Violettes Buch 1945 bei Gallimard veröffentlicht. Über ihre unerwiderte Liebe zur berühmten Schriftstellerin schreibt Violette den Roman „Die Verhungernde“. Die Bücher werden zwar von der Kritik geschätzt, finden aber nicht den Weg zu den Lesern. Mit Jean Genet (Jacques Bonnaffe) und dem schwulen Parfümmagnaten Jacques Guérin (Olivier Gourmet) wird Violette bald zum Mitglied einer Außenseiterbande, bis ihr 1965 mit „Die Bastardin“ der erste Bestseller gelingt. Das ist auch Violettes erstes Buch, das in deutscher Übersetzung erscheint. Bis zu ihrem Krebstod, 1972, bleiben ihr acht Jahre als Angehörige der mondänen Literaturwelt.