EU-Gipfel - Euro-Stabilitätspakt lässt breite Interpretation zu

Brüssel (APA) - Beim bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel könnte es eine Debatte über die Lockerung des Euro-Stabilitätspakets geben. Italien...

Brüssel (APA) - Beim bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel könnte es eine Debatte über die Lockerung des Euro-Stabilitätspakets geben. Italiens Regierungschef Matteo Renzi hat im Zusammenhang mit der Ernennung des EVP-Kandidaten Jean-Claude Juncker eine weniger rigide Anwendung der Defizitspielregeln gefordert. Er wird dabei unterstützt von den europäischen Sozialdemokraten und von Ländern wie Frankreich.

Der EU-Stabilitätspakt bietet zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten. „Der Spielraum fängt schon bei der Defizitberechnung an“, sagt Matthias Kullas, Fachbereichsleiter für Wirtschafts- und Stabilitätspolitik beim Centrum für Europäische Politik in Freiburg. So heißt es im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die Kommission habe im Defizitverfahren zu berücksichtigen, ob das öffentliche Defizit die öffentlichen Ausgaben für Investitionen übertrifft. Allerdings ist nicht genau definiert, was alles unter Investitionen fällt. In der Verordnung des Stabilitätspaktes wiederum heißt es, dass konjunkturelle Entwicklungen, Rentenreformen und ungünstige Auswirkungen bei korrektiven Maßnahmen zu berücksichtigen sind.

„Erste Zweifel, ob die Kommission das rigide auslegt, gab es, als Frankreich mehr Zeit zum Defizitabbau bekommen hat“, sagt Kullas. Dabei habe die EU-Behörde im Vorjahr nämlich das strukturelle, um Konjunktureffekte bereinigte und nicht das normale Defizit als maßgeblich betrachtet. Bereits die Berechnung des strukturellen Defizits verschaffe einen Spielraum, sagte der Experte. „Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Die Idee ist vernünftig. Es macht keinen Sinn, starre Vorgaben zu haben.“ Staatliche Verschuldung könne in bestimmten Fällen sinnvoll sein, zum Beispiel bei Naturkatastrophen oder in Hinblick auf die langfristige Rendite, sagte Kullas. Das Problem sei, dass dann aber auch andere EU-Länder Ausnahmen für sich wollten.

Die Regeln wurden zuletzt 2005 Jahren geändert - damals wurden sie auf Bestreben der damaligen Defizitsünder Deutschland und Frankreich aufgeweicht. „Die Rolle der EU-Kommission ist durch die Stabilitätspakt-Reform gestärkt worden“, sagt Kullas. Der Rat könne den Stabilitätspakt nicht alleine ändern. Umgekehrt habe die Kommission kein Interesse, sich mit dem Rat anzulegen. „Im schlimmsten Fall würde der Stabilitätspakt wieder außer Kraft gesetzt.“

Dabei hätten die jetzigen Forderungen unterschiedliche Beweggründe, sagt der Experte. „Für Italien ist es weniger ein Problem der Konjunkturpolitik. Was Italien stört ist, dass sie das Schuldenstandskriterium nicht mehr einhalten.“ Einem EU-Land droht nämlich auch dann ein Defizitverfahren, wenn der Schuldenabbau nicht vorankommt, auch wenn es wie Italien ein Defizit unter der Drei-Prozent-Schwelle habe. „Frankreich hingegen schafft das Drei-Prozent-Ziel nicht“, betont der Experte. Deutschland hingegen wolle jetzt überhaupt keine Änderungen an dem Pakt.

Für Kullas ist ein größerer Interpretationsspielraum im EU-Defizitverfahren weniger eine Frage, ob Juncker EU-Kommissionspräsident wird. Wichtiger sei, wer der nächste EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung werde. Dieser werde nämlich maßgeblich Einfluss auf die Auslegung des Pakets haben.